risiken einer neuen gaskrise _ interview

ukraine-gaspipe-gaz_797951cGasexperte Mangott: “Bei Nabucco fehlt die Kostenwahrheit”

WirtschaftsBlatt: “Der Sommer ist noch nicht um und Russlands Präsident Dimitrij Medwedew hat schon das erste Mal über eine “Gaskrise” gesprochen. Wie wahrscheinlich ist ein erneutes Abdrehen des Gashahns im Winter?

Gerhard Mangott: Das Risiko ist nicht unerheblich. Die Ukraine hat bisher die riesigen Gasspeicher nicht aufgefüllt. Dafür fehlt wegen der Wirtschaftskrise das Geld. Sind die Gasspeicher nicht voll, kann Europa nicht ausreichend versorgt werden. Zudem rückt die Ukraine einseitig vom Liefervertrag mit Russland ab. Angesichts des stark gesunkenen Binnenverbrauchs weigert sie sich, die vertraglich vereinbarten 52 Milliarden Kubikmeter Gas zu kaufen. Das größte Risiko ist aber ein politisches: Im Jänner 2010 finden in der Ukraine Präsidentschaftswahlen statt. Mit einer nationalistischen und harten Haltung gegenüber Russland werden alle Kandidaten versuchen, Wähler zu gewinnen.

WirtschaftsBlatt: Will Russland mit einer Drohung auch der EU seine Macht zeigen?

Russland kann nicht interessiert sein, die EU unter Druck zu setzen. Je mehr Gaskrisen es gibt, umso stärker wird die EU neue Gasleitungen und -lieferländer suchen. Russland schadet sich mit einer Gaskrise selbst. Je mehr aber die EU wiederum versucht, sich von der russischen Gasversorgung abzukoppeln, umso stärker wird Gazprom nach anderen Abnehmern wie China, USA, Japan oder Südkorea suchen. Dadurch entsteht eine Spirale des Misstrauens zwischen Russland und der EU.

WirtschaftsBlatt: Eine Alternative wäre die Nabucco-Pipeline. Ist es sinnvoll, dass sich die EU aus den Klauen Russlands befreien will und dabei in jene der Türkei begibt, die bei Nabucco eine Schlüsselrolle spielt?

Diese Pipeline würde die Türkei als Energiedrehscheibe aufwerten. Der Beitritt der Türkei zur EU als Gegenleistung für die türkische Unterstützung bei Nabucco ist aber ein zu hoher Preis.

WirtschaftsBlatt: Glauben Sie, dass Nabucco nicht realisiert wird?

Doch, wenn ausreichende Gasmengen vertraglich abgesichert werden. Gas aus Aserbaidschan wird aber nicht reichen. Bei Nabucco fehlt die Kostenwahrheit. Es geht nicht nur um die Errichtungskosten von acht Milliarden €. Nabucco will Gas aus Turkmenistan. Dort gibt es aber eine stark veraltete Gasindustrie. Um die Produktion deutlich anzuheben, müssen hohe Summen in deren Gasindustrie investiert werden. Will die EU turkmenisches Gas, wird sie auch die Modernisierung zahlen müssen. Das können mehrere Milliarden € werden.

WirtschaftsBlatt: Wird die EU dies bezahlen?

Wenn sie das Gas will, wird sie das machen müssen. Russland und China machen das nämlich schon.

WirtschaftsBlatt: Wie sieht es mit iranischem Gas aus?

Iranisches Gas wartet nicht auf uns. China, Indien und der Oman investieren bereits massiv. Es wird immer teurer und schwieriger für die EU. Und indirekt unterstützt die EU damit Russland, das den Iran als Rivalen auf dem Gasmarkt der EU verhindern will.

WirtschaftsBlatt: Auch die OMV hat Interesse an Iran-Geschäften. Wie stehen Sie dazu?

Es wäre schade, wenn sich die OMV aus dem Iran zurückziehen sollte. Es ist erstaunlich, dass die USA exterritorial Druck ausüben kann und EU-Staaten nachgeben. Die Schweiz hat sich dem Druck der USA nicht gebeugt. Die österreichische Regierung gibt der OMV nicht die Rückendeckung, die sie bräuchte.

WirtschaftsBlatt: Sollte die Republik alle ihre Anteile an der OMV verkaufen?

Nein. Strategische Investitionen in politisch unsicheren Ländern erfordern politische Absicherung.

Printed in: Wirtschaftsblatt, September 1st, 2009

Foto source: http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/russia/2645890/Russias-powerful-weapon-oil-and-natural-gas.html

Printed in: Wirtschaftsblatt, Seotember 1st, 2009.

3 thoughts on “risiken einer neuen gaskrise _ interview”

  1. Inwiefern sind wirtschaftliche Interessen in Ländern durchsetzbar, die nachweislich Menschenrechte verletzen und dem Westen (bzw im Besondern Israel) mit der Vernichtung drohen?
    Steht die Absicherung des Energiebedarfs der EU in realpolitischer Sicht über der Absicherung der Menschenrechte in den jeweiligen Staaten?

    Könnte man diesem Survival-Ziel eines jeden Staats entgegenwirken, indem man versucht die Energiequellen drastisch zu verlagern, oder ist dies derzeit politisch sowie technisch gar nicht möglich? (vlt haben OMV und Russland langjährige Verträge zB)

  2. Zunächst gilt es einzuschätzen, inwieweit (Vernichtungs-)rhetorik tatsächlich mit realen außenpolitischen Zielen übereinstimmt. es gibt gute gründe, dies im fall des iran nicht zu tun.
    viele europäische staaten haben offensichtlich schon jetzt kein problem, von iran rohöl zu kaufen – v.a. frankreich, spanien und griechenland.

    um die iranischen gasreserven besteht ein scharfer wettbewerb zwischen der eu, der türkei, china und indien. wirtschaftlichen profit von den gasverkäufen wird iran auf jeden fall haben; wenn nicht von der eu, dann von ihren rivalen. im saldo werden wir daher einen wirtschaftlichen erstarkten iran sehen, der sein gas aber nicht an uns verkauft.

  3. Ein sehr guter Artikel, danke! Nur mit einer These bin ich nicht ganz einverstanden: dass vor der Wahl in der Ukraine alle Kandidaten auf die nationalistische Karte setzen werden. Im Gegenteil, sie müssen sich ja irgendwie voneinander abheben und unterschiedliche Wählerspektren abernten. Außerdem ist in der Ukraine nach dem Scheitern der Orangenen Revolution und der größtmöglichen Zerrüttellung der Beziehung mit Russland wieder eine gewisse Nachfrage nach Verbesserung der Beziehungen entstanden.

    Janukowitsch hat bsp. heute angekündigt, die russische Sprache im Fall seines Sieges zur zweiten Amtssprache zu machen.

    http://korrespondent.net/ukraine/politics/954431

    Unabhängig davon, ob er dieses Versprechen hält, zeigt es doch, dass die Wahlkampftaktik doch etwas anders ist, als sie prognostizieren.

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