Das Angebot Putins auf dem G-8 Treffen in Heiligendamm, im Bereich der Raketenabwehr (MD) mit der USA zusammenzuarbeiten, hat vor allem politische Absichten, lässt aber eine Vielzahl an militärisch-technischen Fragen offen, an denen das Projekt vermutlich scheitern dürfte.
Putin wollte nach der eskalativ-aggressiven Rhetorik der vergangenen Wochen in Heiligendamm als derjenige auftreten, der konkrete – und scheinbar konstruktive – Lösungsversuche anbietet. Zudem drängt er die USA damit, zu zeigen, wie ernst deren Versprechen, im MD-Bereich mit Russland zusammenzuarbeiten, zu nehmen ist. Nicht zuletzt aber dient diese Offerte auch dazu, die MD-Pläne der USA in Tschechien und Polen zu verzögern; nun, da die russländische Offerte am Tisch liegt, kommen die USA unter öffentlichen Rechtfertigungsdruck, wenn sie das MD-Projekt in Osteuropa nicht zumindest aussetzen; die USA sieht sich genötigt, den ernsten Willen zu zeigen, das russländische Angebot zu diskutieren.
Die offenen militärisch-technischen Fragen aber sind zahlreich: Die derzeitige russländische Radaranlage (LPAR-Radar, Large-Phased Array Radar) im azerbajdzanischen Qabala mit einer Reichweite von annähernd 6.000 km ist Teil des russländischen Frühwarnsystems. Die 1985 in Betrieb genommene Radaranlage – auf Basis der in den siebziger Jahren entwickelten sowjetischen Radartechnologie – muss dringend modernisiert werden; US-Radartechnologie wäre dazu äusserst willkommen. Zudem könnten damit kostenintensive russische Pläne, ein Ersatzradarsystem im nördlichen Kaukasus zu errichten, vermieden werden.
Auch ist das russländische Qabala-Radar nur eine geleaste azerbajdzanische Anlage, aber kein russländisches Eigentum auf einem offiziellen Militärstützpunkt; dazu könnte der neue Vorschlag aber führen; vor allem aber wäre damit eine langfristige russländische Präsenz in Azerbajdzan garantiert. Offen ist, ob Russland bereit ist, einen solchen Stützpunkt gemeinsam mit der USA zu nutzen, oder lediglich den Zugang von US-Experten zu einer im Kern russländischen Anlage einräumen will.
Ausserdem wäre im Rahmen dieser Initiative möglich, das technisch eingeschränkt nutzbare russländische Radar durch ein modernes X-Band Radar zu ersetzen, das die Qualität der Radarleistung deutlich erhöhen würde.
Das wichtigste aber wäre, dass Russland durch die Verhinderung der Radaranlage im tschechischen Jince sicherstellt, dass der bedrohlichste Aspekt dieses US-Unterfangens – die radargestützte militärische ‚Aushorchung’ Zentralrusslands – vermieden werden kann. Das Qabala-Radar würde nach Süden, nicht aber nach Norden ‚blicken’.
Offen ist aber die entscheidende Frage, ob damit auch die Pläne zur Stationierung von Interzeptoren in Polen hinfällig sind. Die für die Zerstörung feindlicher (iranischer) Raketen in deren mittlerer Flugbahn (midcourse-defence) gedachte Anlage könnte durch eine Raketenbatterie in Azerbajdzan ersetzt werden, die feindliche Raketen in deren Startphase (boost-phase defence) abfängt. Derartige kinetische Interzeptoren wären keine Gefahr für die russländischen Interkontinentalraketen. Putin aber deutete zuletzt an, die Abfangraketen könnten in der Türkei oder seegestützt im Kaspischen Meer stationiert werden.
Das Risiko dieses Vorschlages für Russland aber ist eine deutliche Verschlechterung der Beziehungen zum Iran. Diese wurde ohnehin bereits durch die von Russland ausgesetzte Lieferung nuklearer Brennstäbe an das iranische Nuklearkraftwerk Busher getrübt. Die Errichtung eines hochauflösenden Radars 160 km von der nördlichen Grenze Irans entfernt, wäre für Iran ein militärisch aggressiver Akt.
Der russländische Vorschlag wird in den kommenden Wochen auf politischer und militärisch-technischer Ebene diskutiert werden. Anzunehmen ist, dass dabei die zahlreichen offenen militärisch-technischen Fragen zum Scheitern der Initiative führen werden. Dann aber kann Russland der USA die Schuld daran zuschieben, während letztere wohl versuchen wird, diesen Eindruck zu verschleiern, und das Scheitern auf ‚berechtigte Sorgen’ der azerbajdzanischen Führung zurückzuführen.