chodorkovskij – motivlagen für eine einkerkerung (teil 1)

Es ist zweifellos (auch) ein politisches Urteil ─ am Ende eines Justizverfahrens, das gravierende rechtsstaatliche Mängel aufzuweisen hatte. Nur kurze Zeit vor der Enthaftung Chodorkovskij’s nach acht Jahren in Gefängnissen, wird das ‚Ärgernis‘ wieder weggesperrt – auch wenn noch nicht bekannt ist, wieviele Haftjahre der Richter verhängen wird. Die Motivlagen aber, die den Urteilen 2005 und 2010 zugrunde liegen, sind andere.

Die Verhaftung Michail Chodorkovskij’s – Miteigentümer der Menatep-Holding und des Ölunternehmens Jukos ─, im Oktober 2003, lässt sich vor allem durch drei Faktoren erklären. Zunächst sind die wirtschaftlichen Faktoren zu benennen: Durch die im April 2003 angekündigte Fusion von Jukos mit der Rohölfirma Sibneft sollte das größte russländische Erdölunternehmen entstehen, das damals 31 Prozent der Rohölproduktion des Landes kontrolliert hätte. Das Mehrheitseigentum des fusionierten Energieunternehmens sollte aber an die Konzerne ExxonMobil und Chevron Texaco verkauft werden. Die Führung um Putin lehnte die Veräußerung eines derart hohen Anteils an der Rohölförderung Russlands an ausländische Unternehmen aus volkswirtschaftlichen Gründen kategorisch ab.

Zudem drängte Putin auf die Ausweitung der staatlichen Kontrolle über die Rohölförderung. Anders als der Gasmarkt, war der Rohölsektor zuvor privatisiert worden. Der Anteil staatlicher Ölunternehmen (Transneft, Rosneft) an der Ölförderung war auf 11 Prozent zurückgegangen. Durch die Renationalisierung dieses Sektors sollte die strategische Vision Putins, das Land durch finanzstarke Rohstoffunternehmen zu modernisieren, durchgesetzt werden. Im Zuge der Renationalisierung konnten aber auch Gefolgsleute Putins finanziell entschädigt und Bündnisgenossen gekauft werden.

Der wichtigste politische Faktor war Putins Drängen, sich aus der Umklammerung des Elitenkartells um Boris El’cin zu befreien. Chodorkovskij war Mitglied des Kartells, ausgezeichnet vernetzt, und hatte mit dem Stabschef Putins – Aleksander Vološin – auch einen mächtigen Beschützer. Die Verhaftung Chodorkovskijs im Oktober 2003, der damit erzwungene Rücktritt Vološins und die im Februar 2004 vorgenommene Entlassung von Michail Kasjanov – ein weiteres Mitglied des alten Kartells – als Ministerpräsident ,ermöglichte Putin, sich endgültig aus der Abhängigkeit des alten Elitenkartells zu emanzipieren.

Den strategischen wirtschaftlichen und politischen Zielen Putins stand Chodorkovskij auch durch die (mutmaßlich) versuchte Bestechung von Mitgliedern der Staatsduma entgegen; der Unternehmer konnte immer wieder Gesetzesvorlagen der Regierung im Parlament blockieren ─ insbesondere die höhere Besteuerung der Rohölförderung des -exports. Anders als ab 2004 hatte Putin damals noch keine gesicherten Abstimmungsmehrheiten in der Staatsduma. Der (mutmassliche) Stimmenkauf von Chodorkovskij blockierte Putins Absichten, die Kontrolle über die Abgeordneten durch eine Staatspartei zu erreichen, immer wieder.

Erheiternd sind die immer wieder geäußerten Vermutungen, Putin hätte Chodorkovskij ausschalten wollen, weil dieser regimekritische liberale Parteien unterstützt habe. Der Unternehmer hat (mutmasslich) Abgeordnete aller Parteien finanziell ‚unterstützt‘, um die legislative Agenda zu beeinflussen.

Die Motivlage für das gegenwärtige Urteil wird im nächsten Blogeintrag untersucht.

Foto: Neue Zürcher Zeitung (http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/chodorkowski _gericht__1.2082445.html)

2 thoughts on “chodorkovskij – motivlagen für eine einkerkerung (teil 1)”

  1. “Das “hat mit einem rechtsstaatlichen Verfahren nichts zu tun”, sagte der Politologe am Dienstag im Ö1-Morgenjournal. Premier Wladimir Putin habe sich hier durchgesetzt. Für ihn hätte eine Freilassung des ehemaligen Ölunternehmers das Risiko geborgen, dass sich Chodorkowski wieder für die liberale Opposition einsetzt.” (aus dem Web-Standard vom 28.12.2010; http://derstandard.at/1293369575122/Fall-Chodorkowski-Russland-Experte-Neues-Urteil-ist-persoenliche-Niederlage-Medwedews)

    Hat man Sie hier demnach falsch zitiert….? Oder geht es nun doch um die liberale Opposition?

  2. Die Konstellationen 2003 und 2010 sind nicht vergleichbar:
    2003 hatte sich Chodorkovskij – durchaus auch in gezielter Öffentlichkeitsarbeit für seine Geschäftspartner im westlichen Ausland – als liberaler und demokratischer Unternehmer inszeniert. In der Praxis freilich finanzierte er (mutmasslich) alle Parteien, um möglichst viele Abgeordnete der Staatsduma bei für ihn wichtigen Abstimmungen für sich zu gewinnen.
    2010 hingegen – im westlichen Ausland geradezu zur Ikone des demokratischen Widerstands gegen Putin und die Nachrichtendienste stilisiert – der derzeit fragmentierten, führungslosen und zerstrittenen liberalen Opposition ein öffentlichkeitswirksames Gesicht geben. Auch wenn Chodorkovskij von der überwiegenden Mehrheit der Russen negativ beurteilt oder aber gleichgültig beurteilt wird, könnte Chodorkovskij einer liberalen Sammlungsbewegung 2011 wieder zum Einzug in die Staatsduma verhelfen (in der sie seit 2003 nicht mehr vertreten ist).

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