Die Terrorakte in britischen Städten sind ein weiteres Alarmzeichen für die anhaltende Gefahr, die von totalitären und aggressiven Tätergemeinden für die offenen Gesellschaften liberaler Demokratien ausgeht. Islamistische Gewalttäter zwingen die Führungen unserer Länder, Freiheit durch Sicherheitserfordernisse einzuschnüren. Islamistischer Terror wird dadurch zur doppelten Gefahr: zum einen werden unsere Werte verachtet, der aufklärerisch-humanistische Wertekodex, dessen Erringung mutigen und blutigen Einsatz der Kämpfer für die Moderne und den Säkularismus erfordert hat. Zum anderen untergräbt feindliche Belagerung, Terror, Gewaltbereitschaft und Fanatismus unsere Freiheit, weil sie unsere Staaten zu Überwachung, Restriktion und Kontrolle zwingen, um die Gewalt zurückzudrängen oder zumindest einzuhegen.
Islamistischer Terror wächst innerhalb unserer Gesellschaften (homegrown terrorism) oder wird in unsere Gesellschaft hineingetragen – von Tätern anderer Länder oder durch Islamisten, die von den Schlachtfeldern islamistischer Glaubenskrieger in ihre europäischen Stammländer zurückkehren (flowback terrorism).
Freiheit aber muss verteidigt werden, liberale Werte sind ohne Wehrfähigkeit bedroht. Islamistischer Terror muss unsere Abwehr mobilisieren, Einigkeit und Festigkeit, Beharrlichkeit und Ausdauer. Zurückweichen, Einschüchterung und Nachgiebigkeit sind die falschen Signale. Islamistischer Terrorismus ist zweifelsfrei auch die Reaktion auf ungerechtes und unrichtiges Verhalten unserer Regierungen; aber nicht nur berechtigt dies nicht zur gewalttätigen Abschlachtung unserer Mitbürger, sondern ist ganz sicher nicht der einzige Quell und Begründung der islamistischen Terrortaten.
Freiheit, Gleichberechtigung, Offenheit und Akzeptanz vielfältiger Lebensformen auf dem Boden aufklärerisch-humanistischer Werte – auch wenn sie in unseren Ländern vielfach nur verkümmert eingelöste Wertebindungen sind – sind unteilbar und unveräusserlich. Liberale Demokratien dürfen nicht kapitulieren.
Ich stimme in allem mit Ihnen überein: Liberale Demokratie muss ebenso "wehrhaft" sein wie unser pluralistisches offenes Gesellschaftskonzept (ich erinnere an Karl Popper) Verteidigung verdient. Aber: Wie lässt sich die "Wehrhaftigkeit" konkret durchführen? Mit "Einsperren" islamistischer Täter werden wir unsere Werte ebenso wenig retten können wie mit dem Töten islamistischer Kämpfer auf dem Schlachtfeld. Bei "Werten" geht es primär um eine geistige Auseinandersetzung. Sie muss in einem geeigneten sozioökonomischen Umfeld möglich sein. Alles andere wäre fromme Selbsttäuschung, die sich nur in – gut gemeinten – Appellen erschöpfen kann. MfG.
Ich berühre mit diesem Kommentar nicht die polizeiliche und nachrichtendienstliche Bekämpfung des islamistischen Terrors. Mir geht es um einen anderen Aspekt: die Mobilisierung der moralischen Widerstandskraft offener Gesellschaften, das Bewusstsein um das Schützenswerte unserer Werte. Isdlamistischer Terror darf nicht nur als Bedrohung der physischen Sicherheit unserer Bürger, sondern muss auch als Anschlag auf unsere Werte begriffen werden.
Als Student der Politikwissenschaft bin ich ein aufmerksamer Besucher Ihres Blogs, an dem ich insbesondere die kritisch fundierten Beiträge schätze – so auch Ihren letzten Eintrag, der für eine „Mobilisierung der moralischen Widerstandskraft offener Gesellschaften" plädiert. Persönlich interessiert mich diesbezüglich in welchen Bereichen Sie potentielle Möglichkeiten innerhalb der europäischen "Wertegemeinschaft" identifizieren, um die nötige zivilgesellschaftliche Aktivierung initieren zu können? mit freundlichen Grüssen Christoph Wurnitsch
Der erste Schritt dazu ist sicherlich das Durchbrechen multikultureller Verharmlosungsbotschaften, die notwendigen Pluralismus mit Werterelativismus und Gleichgültigkeit gegenüber Parallelgesellschaften verwechseln. Europäische Gesellschaften müssen sich auf eine Leitkultur besinnen, die keinesfalls ethnisch oder religiös begründet werden darf, sondern auf einen aufklärerisch-humanistischen und laizistischen Wertekodex aufbaut, der die Freiheit des Einzelnen auch gegen die Dogmatik von Religionen verteidigt. Die Säkularisierung des öffentlichen Raumes und die strikte Zurückweisung von Religion als Legitimationsrahmen zur Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte sind dafür unabdingbar.
In den USA, die hinsichtlich einer Wertegemeinschaft gerne mit Europa in einem Atemzug genannt werden (Huntington!), spielt sich aber derzeit leider das Gegenteil ab: Dort drängt die Religion (jedweder Spielart) auf Kosten einer Säkularisierung der Gesellschaft immer stärker in den Vordergrund. Mit den bekannten Folgen der Einschränkung von Freiheitsrechten des Individuums aus Gründen der Angst vor dem "Clash of Civilizations". Siehe Dominique Moisi in Heft 1 von "Foreign Affairs" (Jänner/Februar 2007).
Wertegemeinschaft entsteht nicht vorrangig auf staatlicher Ebene und sie umfasst nicht ganze Gesellschaften. Auch ohne islamische Parallelgesellschaften gibt es Druck auf die leitkulturelle Wertegemeinschaft – so etwa in Polen. Die Widerstandskraft und -notwendigkeit ist von gesellschaftlichen Schichten zu mobilisieren, die über den Werteangriff reflektieren und dagegen ankämpfen.
Es geht nicht um "Werte von Schichten", sondern um den Individualismus, um das individuelle Streben nach Erfolg und nach Glückseligkeit im Rahmen einer pluralistischen Multikultur, das es zu verteidigen gilt. Oder mit den Worten Salman Rushdies (gegen die Fundamentalisten gerichtet): "Was für uns zählt: Küssen in der Öffentlichkeit, Schinkensandwiches, öffentlicher Streit, scharfe Klamotten, Literatur, Großzügigkeit, Wasser, eine gerechte Verteilung der Ressourcen der Welt, Kino, Musik, Gedanken- freiheit, Schönheit, Liebe". Also, ein freies, buntes Leben in Konsumismus und totaler Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung. Nur so sind Rassismus und religiöser Hass zu überwinden und haben seine Prediger keine Chance mehr.
Das klingt für mich alles sehr spannend: "Freiheit muss verteidigt werden", die Ausstattung liberaler Werte mit "Wehrhaftigkeit", die zivilgesellschaftliche Aktivierung der europäischen Wertegemeinschaft. Aber wo und wie? Die Freiheit, für die so viele Kämpfer gestorben sind, erstickt im Konsumzwang und Gleichheit oder gar Brüderlichkeit sind nur unter Aufwendung von Mühe und Phantasie identifizierbar. Welche Werte verteidigen wir mit welchen Mitteln wo und gegen wen?
Die Verteidigung der Freiheit ist – wie stets – eine Elitenaufgabe, die nur beschränkt auf allgemeine Sensibilität und Unterstützung zählen kann. Einen öffentlichen Diskurs zu wagen, der keine Beschränkungen kennt, die aus wertrelativistischer Gleichgültigkeit oder Arroganz stammen, muss zur Grundlage kultureller Hegemonie, beinahe Substanz werden. Die politische Umsetzung ist eine Variable der Dominanz dieses intellektuellen Diskurses. Derzeit aber scheint eine multikulturelle Beliebigkeit, Kapitulation oder Andienerei einem solchen Diskurs im Wege zu stehen.
sehr interessante Diskussion…
Welche Rolle spielt unsere Arroganz, mit der wir versuchen, unsere Werte und Vorstellungen über andere drüberzustülpen während wir im selben Moment den Rest der Welt bevormunden, knebeln und ausbeuten – was mit den propagierten Werten ja eigentlich unvereinbar ist?
Kann ein öffentlicher Diskurs, der von der “Elite” angeleiert wird überhaupt funktionieren? Ist der Punkt, an dem anzusetzen wäre nicht Sensibilisierungsarbeit an sich? Und würde die Politik einen solchen Diskurs überhaupt unterstützen (ORF-Themenschwerpunkt: Freiheit)?
mfg, Sigrid Maurer
Das ‘Wir’ ist keine analytische Kategorie. Die Beugung und Verletzung aufklärerischer Werte durch Regierendenhandeln (mit oder ohne aktive/gleichgültige Unterstützung durch Bevölkerungsmehreitseinstellungen) ist keine Negation derselben. Der aufklärerische Wertekanon aber, der sich keiner werterelativistischen Attacke beugt, bildet den Referenzrahmen auch für die Bewertung des Regierendenhandelns des eigenen Staates. Der Kanon ist aber zugleich auch der Referenzrahmen für den Umgang mit zunehmendem Wertedruck durch Einstellungskulturen, die als voraufklärerisch oder gar aufklärungsfeindlich begriffen werden müssen. Dieser Wertedruck entspringt v.a. religiösen Überzeugungen und ist bei einem nicht-privatisierten Islam aufgrund der ausgebliebenen Säkularisierungserfahrung besonders deutlich.
11 Kommentare, die durch einen Erguss entstanden sind, der keinerlei Fakten zugrundelegt. Beweisen Sie erst einmal, daß islamischer Terror in unseren Europäischen Breitengraden existiert. Und dann erklären sie noch einmal, warum Regierungen “gezwungen” sind unsere Freiheiten einzuschränken. Das ist lächerlich. Herr ao.univ.prof.dr. Gerhard Mangott ist ein kleines Rädchen, welches seine Aufgabe zu erfüllen hat. Lehrauftrag: von wem erteilt?
Wenn Ihnen Madrid und London nicht bekannt sind, sollten Sie beginnen, Ihre Umwelt wahrzunehmen.
Sehr geehrter Herr Prof. Mangott, für mich waren die Terrorakte(die ich persönlich natürlich verurteile), Reaktionen auf den Krieg im Irak und nicht ein Angriff auf die westlichen Werte. ‘Islamistische’ Terrorakte gab es ja davor in diesen Ländern nicht. Wieso gehen Sie von einem Angriff auf die westlichen Werte aus? mfg Saied