causa grass. kurze einlassung

Ich will hier nicht über Günther Grass und seine Motivlagen und Bewertungen urteilen. Dazu kenne ich seine Biographie nicht ausreichend genug. Aber was er gesagt hat, darf – abstrahierend von einer möglichen Motivlage – so gesagt werden dürfen, ohne ihn des Antisemitismus zu zeihen. Diskurse, in denen Andersdenkende stigmatisiert und delegitimiert werden, sind mir zutiefst zuwider. Sie sind der Vernunft unwürdig. Grass wird nicht erklären und rechtfertigen können, warum er Israel das Vorhaben eines ‘Erstschlages’ mit der Absicht, das iranische Volk ‘auszulöschen’, unterstellt. Das ist Unsinn. Israel’s Verantwortung für die regionale Sicherheitslage aufzuzeigen und einzumahnen aber ist dringlich geboten. Notwendig scheint mir aber der durch Grass gegebene Anstoß, die israelische Strategie gegenüber Iran intensiv, offen und öffentlich zu diskutieren und zu bewerten. Genau das aber wird durch die Antisemitismus-Debatte an und über die Person Grass verhindert. In der Debatte kann und darf es auch ganz und gar nicht vorrangig um Grass gehen, wenn die viel wichtigere Debatte über die Lage im Nahen Osten, die zu führen ist, nicht verstummen soll.

Notwendig scheint mir aber der durch Grass gegebene Anstoß, die israelische Strategie gegenüber Iran intensiv, offen und öffentlich zu diskutieren und zu bewerten. Genau das aber wird durch die Antisemitismus-Debatte an und über die Person Grass verhindert.

Foto: NZ Netzeitung GmbH

14 thoughts on “causa grass. kurze einlassung”

  1. Nachzulesen ist das “Gedicht” in der “Süddeutschen Zeitung”. Grass prangert darin eigentlich sein Land, Deutschland, an, dem er vorwirft, durch die Lieferung eines U-Bootes an den Staat Israel dem möglichen Kriegsausbruch in dieser Region Vorschub zu leisten. Auch verweist er darauf, dass die einzige Atommacht dort Israel ist, ein Land übrigens, zu dem er sich in der vorliegenden Wortmeldung ausdrücklich bekennt. Der “Antisemitismus-Falle” entgeht er damit allerdings nicht, wie die aufgeregte Reaktion von Henryk M. Broder zeigt. Unbestrittenes Faktum bleibt, dass der Staat Israel zu den ganz wenigen Staaten zählt, die als Atommacht (wie etwa auch Pakistan) den Atomwaffen-Sperrvertrag nicht unterzeichnet haben. Dies lässt für Nachdenkliche doch einige Rückschlüsse zu.

  2. Interessant ist übrigens, dass die schrillsten Anwürfe gegen Günther Grass im Zusammenhang mit dessen “Gedicht” aus Deutschland kommen, während in Israel mit Ausnahme von Tom Segev kaum jemand davon Notiz genommen hat. Offenbar hat Grass da mit seiner Kritik an der deutschen Rüstungshilfe für Israel einen besonderen Nerv getroffen und an einem weitum und seit langem (schon seit Konrad Adenauer) bestehenden Tabu gerührt.

  3. @ Gerhard Mangott: Sie sind Politikwissenschafter. Folglich kennen Sie den Unterschied zwischen Erst- und Präventivschlag. Was in Isreal disktutiert wird, ist ein Präventivschlag auf Nuklearanlagen – vergleichbar etwa mit der Operation Orchard (1) im September 2007 auf eine syrische Nuklearanlage. Der Begriff Erstschlag hingegen bezeichnet einen Angriff mit Nuklearwaffen. Ein solcher ist in Israel nie zu Debatte gestanden und nicht einmal die erbittersten Gegner Israels behaupteten das (auch nicht Ahmadinedschad). Grass hingegen tut genau das. Das lässt sich beim besten Willen nicht anders als mit “Hetze” bezeichnen. Über eine Stellungnahme Ihrerseits würde ich mich freuen.

    (1) Für diejenigen, die nicht informiert sind, gibt es hier einen ausführlichen Artikel: http://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Orchard

  4. Sie haben völlig recht bei der Unterscheidung zwischen ‘Erstschlag’ und ‘Präventivschlag’; Grass wird es schwer fallen zu erklären, warum er Israel das Vorhaben eines ‘Erstschlages’ mit der Absicht, das iranische Volk ‘auszulöschen’, unterstellt. Das ist Unsinn. Notwendig scheint mir aber der durch Grass gegebene Anstoß, die israelische Strategie gegenüber Iran intensiv, offen und öffentlich zu diskutieren und zu bewerten. Genau das aber wird durch die Antisemitismus-Debatte an und über die Person Grass verhindert.

  5. @ 4 Gerhard Mangott: Jede kritische Äußerung zu Israel und zur Politik seiner Regierung, so berechtigt sie im Einzelnen auch sein mag, wird von gewissen Kreisen sofort mit dem “Antisemitismus”-Etikett versehen, vor allem, wenn sie von nichtjüdischer Seite kommt. Denn damit erspart man sich auch eine weiter gehende argumentative Auseinandersetzung. Das wenigstens hätte Günther Grass wissen müssen …

  6. @ 3DkM: Womit wir wieder bei dem langatmigen Rechtfertigungsdiskurs über den Präventivschlag der Bush-Administration gegen den Irak angelangt wären, der von den NeoCons mit besonderer Verve unter Rückgriffen bis zu Thukydides und seine Beschreibung des Peloponnesischen Krieges geführt wurde. Umstände und Ausgang des Irakkrieges sind mittlerweile sattsam bekannt, die Auswirkungen des Kriegszugs Athens auf den politischen und moralischen Verfall im Inneren des Stadtstaates können dagegen schön bei Thukydides studiert werden. Es empfiehlt sich daher für manche gegenwärtige israelische Entscheidungsträger, Leo Strauss’ Thukydides-Rezeption zu folgen und bei dem altgriechischen Historiker geistige Anleihen hinsichtlich eigenen Handelns aufzunehmen.

  7. @2: Ergänzend zu meinem obigen Kommentar muss ich jetzt doch noch auf das Verdikt eingehen, das Günther Grass seitens der israelischen Regierung getroffen hat. Er wurde nämlich inzwischen vom Innenminister zur “persona non grata” erklärt und mit einem Einreiseverbot nach Israel belegt. Der von mir bereits genannte Historiker und Publizist Tom Segev meint dazu in einem Interview mit SPIEGELonline:
    “Das ist ein absolut zynischer und alberner Schritt des Innenministers … Er rückt Israel so in die Nähe fanatischer Regime – wie etwa Iran … Menschen nach ihrer politischen Meinung fragen, bevor sie einreisen, ist Zensur. … Es geht darum, sich im Entrüstungswettbewerb zu überbieten. Die Kabinettsmitglieder konkurrieren darum, wer am extremsten ist.”
    SPIEGELonline: “Bislang hat die israelische Regierung vor allem Rechtsextremisten die Einreise nach Israel verboten – etwa dem verstorbenen österreichischen Populisten Jörg Haider. Ist Grass nun durch sein Gedicht zu Israel und Iran ein Antisemit?”
    Segev: “Natürlich nicht. Im Grunde hat Grass nur das gesagt, was auch der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan beinahe jeden Tag erklärt. Dagan warnt vor einem israelischen Angriff auf Iran. In Israel wird über dieses Thema sehr rege diskutiert – es ist kein Tabu.”

    Abgesehen davon, dass hier vom SPIEGEL interessanterweise Haider in einem Atemzug zugleich als “Populist” und als “Rechtsextremist” bezeichnet wird und dass Segev die Kritiker-Meute in Deutschland mit ihrem “Antisemiten”-Anwurf an Grass Lügen straft, fühle ich mich in meiner Auffassung bestätigt, wonach jedwede Kritik an Israel oder seiner Regierung nur innerhalb der jüdischen Community toleriert sowie sofort als Brechung eines Tabus empfunden wird, wenn sie von “Außenstehenden” geäußert wird. Die Dichotomie “Wir und die Anderen” kommt hier sehr deutlich zum Vorschein.

  8. Um Grass war es lange ruhig, daher versteh ich es, dass er Publicity brauchte.

    Von rechtsextrem bis linksextrem, von Standard Online-Forum bis Kroneforum, von FPÖ bis Grüne, von Uniprofessoren bis Stammtischen, von Ayathollas bis UN-Menschenrechtsrat – überall sieht, liest und hört man “Kritik” an Israel. Dass dies ein angebliches Tabu sei, ist empirisch nicht zu belegen. Diese Kritik ist allgegenwärtig. Warum dieser (im Gegensatz zu anderen Krisen) kleine Konflikt eine derart große Aufmerksamkeit erhält, dies mögen andere beantworten.

    Und zur Frage, ob Grass ein Antisemit ist: Nicht nur AntisemitInnen bedienen sich antisemitischer Argumentationsbausteine. Grass würde ich nicht vorwerfen, ein überzeugter Antisemit zu sein, aber seine Topoi stammen tief aus diesen Ressentiments:

    – Das angebliche Tabu, Israel zu kritisieren
    – Der Vorwurf, Jüdinnen und Juden würden den Holocaust instrumentalisieren
    – Vager Relativismus und Revisionismus (»aber die sind ja auch böse«)
    – Die Selbstdarstellung als einziger Mutiger
    – Angebliche Verschwörungen aller Art, insbesondere
    – politisch gesteuerte Medien

    Darum geht es, nicht um U-Boote und Erstschläge. Aber alles Relevante zu diesem literarisch wie auch inhaltlich wertlosen Gedicht wurde wurde schon von Schirrmacher gesagt: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/eine-erlaeuterung-was-grass-uns-sagen-will-11708120.html

  9. @8: Grass wird von seiner Steigerung (Grasser) “nicht vorgeworfen, ein überzeugter Antisemit zu sein”, aber dem Diminutivum werden dann doch potenzielle Beweggründe selbiger ebenso unterschoben wie ein durchaus profanes Schielen auf Absatz-Steigerung seiner Bücher (“brauchte Publicity”). Die wesentliche Frage, die Grass mit seiner literarischen Miniatur stellt, “mögen andere beantworten”, während “alles Relevante zu diesem literarisch wie auch inhaltlich wertlosen Gedicht” sowieso bereits vom IKEA-Bastler Schirrmacher gesagt sei. Wozu aber dann diese Wortmeldung in diesem Blog? Etwa als Publicity-Nachhilfe für die FAZ und deren Herausgeber? Dann wäre sie besser unterblieben, denn das Thema eignet sich nicht für verharmlosende Schraubenzieher-Spielereien im Feuilleton.

  10. Ich bin nur teilweise Ihrer Meinung, Herr Dr. Mangott. Es muss, wie Sie richtigerweise sagen, möglich sein, die israelischen Strategien gegenüber Iran zu diskutieren. Die Art und Weise, wie dies Grass macht, sind jedoch eine bodenlose Frechheit und die “Antisemitismus-Keule”, wie Herr Heiden die Reaktionen anprangert, wird hier teilweise zu Recht geschwungen. Abgesehen von der übertriebenen Reaktion der israelischen Regierung, Grass als persona non grata zu erklären, sind Dämonisierungen israelischer Einrichtungen bzw. Organisationen, die jeglicher Grundlage entbehren, durchaus ANTISEMTISCH. Wer als ehemaliges SS-Mitglied die Frechheit besitzt, dem israelischen Volk die “Auslöschung” des iranischen Volk vorzuwerfen, der muss sich nicht über diese Fülle von Reaktionen wundern.

  11. @10Martin
    Nur zur Klarstellung: Ich habe nicht von der “Antisemitismus-Keule” geschrieben, mit der jemand niedergeschlagen und damit mundtot gemacht werden kann, sondern von der “Antisemitismus-Falle”, in die jemand mangels Obacht tappt. Grass ist letzteres passiert, weil er Erst- und Präventivschlag nicht unterscheiden konnte oder wollte. (Siehe Kommentar 4Gerhard Mangott).

  12. Dass die Israelis sensibilisert sind muss man verstehen.
    Grass als ehemaliges SS-Mitglied ist vielleicht nicht die geeignete Person für dieses Thema, er soll besser schweigen statt zu moralisieren, das steht einem SS-Mitglied nicht zu.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.