russisch-orthodoxe kirche im visier der proteste?

Nachdem sich die konservative Führung der russisch-orthodoxe Kirche – allen voran Patriarch Kirill und Erzpriester Caplin – nachdrücklich für die Strafverfolgung von Pussy Riot eingesetzt hat, mehren sich die anti-klerikalen Elemente in der russländischen Protestbewegung. So nachvollziehbar dieser Unmut auch ist, so strategisch unklug wäre es, die russisch-orthodoxe Kirche(nführung) ins Visier der für den Herbst angekündigten Protestaktionen zu nehmen. Zum einen stellen russisch-nationalistische Zirkel und Verbände eine beträchtliche Zahl der Demonstranten. Attacken gegen die Kirche werden von den Nationalisten nicht mitgetragen; Aufrufe gegen die Kirche auf den Kundgebungen würden wohl zu einer Spaltung der Proteste führen. Zum anderen würde ein antiklerikaler Fokus der städtischen Proteste die bislang ohnehin fruchtlosen Versuche der Opposition untergraben, die ländliche Bevölkerung gegen die Regierung Putin aufzubringen. Die Bindungen zwischen der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung zur orthodoxen Kirche sind sehr viel stärker; Attacken gegen die Kirchenführung würden von diesen Bevölkerungsschichten als abstossend empfunden werden. Die Kluft zwischen der städtisch-gebildeteren Bevölkerung und der kleinstädtisch-ländlichen Bevölkerung würde damit vertieft werden.

Die Haltung der Kirche im Fall Pussy Riot hat aber die ohnehin bestehenden Gräben zwischen modernisierenden Klerikern und den etatistischen Konservativen weiter verschärft. Es wird interessant zu beobachten sein, ob sich die Fraktion der Modernisierer in den nächsten Monaten selbstbewusster zeigen wird.

Siehe dazu auch ein Interview von mir mit der Deutschen Welle: http://www.dw.de/dw/article/0,,16159557,00.html

Foto: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f3/Patriarch_Kirill_of_Moscow_.jpg

10 thoughts on “russisch-orthodoxe kirche im visier der proteste?”

  1. Also was das angeht muss die Devise in allen Länder weltweit sein “Religion hat sich vom Staat fernzuhalten” Der Klerus sorgt nur mit seinen pseudo-moralischen Gesellschaftsansichten für Ärger und für Spaltungen in der Arbeiterklasse. Abgesehen davon ist der Lebensstil des Klerus dekadent und damit eine Zumutung für alle Menschen mit begrenzten finanziellen Mitteln, die es besonders in Ländern mit einem stark religiös geprägten Staat, zu Hauf gibt

  2. “Der liberale Teil” der Protestbewegung ist bei weitem nicht der Zahlenstärkste und nicht der Repräsentativste, bekommt aber in der westlichen Medien den Großteil der Aufmerksamkeit.

    Der springende Punkt ist, dass in diesen Kreisen vor allem solche Menschen die Führung an sich gerissen haben, die sich auf die Finanzierung aus diversen ausländischen Fonds und NGOs spezialisiert haben. Ihr Auftrag ist es, die Situation zu destabilisieren und den Westmedien Sujets für ein möglichst ununterbrechbares mediales Trommelfeuer gegen Russland zu liefern.

    Wir beobachten darüber hinaus einen immer weiter um sich greifenden Angriff auf jegliche Stützpfeiler der russischen Identität, jetzt ist offenbar auch die Russisch-Orthodoxe Kirche dran. Die Verschmähung der Kirche, die allgemeine Verweichlichung von jeglichen identitätsstiftenden Rückgrat, die Verbreitung von Defätismus und Zynismus – das ist alles ein Teil des Auftrags.

    Doch während die liberale Truppe einen Teil ihres Auftrags (Propagandavorlagen für die Westmedien) wohl weiterhin erfolgreich erfüllen wird, wird der nach innen gerichtete Effekt mit großer Wahrscheinlichkeit nach hinten losgehen und das entgegengesetzte Ergebnis bringen. Man konnte das schon bei den rasch abgeklungenen winterlichen Protesten erleben: als der Großteil der unzufriedenen Menschen gesehen hat, wer sich zu ihren “Anführern” aufschwingt, sind sie den Protesten überwiegend fern geblieben, so dass in der Folge nur noch etwa 10 Tausend, der harte Kern aus eben diesen “Berufsrevolutionären” mitmachten.

    Die Menschen spüren intuitiv, worum es diesen “Berufsrevolutionären” geht. Diese erreichen nur, dass sie die Protestbewegung schwächen und sogar, im Gegenteil, eine Konsolidierung großer Bevölkerungsschichten hinter dem Kremlkurs und hinter der nationalen Identität verstärken.

  3. Habe gerade Ihr Interview auf RT gesehen. Gratulation: Nüchterne und rationale Analyse der Pussy Riot Geschichte. Habe den Sachverhalt versucht in meintem Artikel “Westen sorgt sich um Freiheit der Meinungsäußerung in Russland” darzustellen (thinktankjunk.org).
    Gruß Michael
    PS.: Hat mich gefreut bei RT mal ein Bericht aus Innsbruck zu sehen – das zeigt deren gutes Netzwerk.

  4. danke für das lob! das live-interview sollte eine differenzierte bewertung der medialen rezeption der pussy riot-saga bieten. ist einigermaßen rübergekommen. leider hat RT in der später ausgestrahlten zusammenfassung alle meine kritischen aussagen rausgeschnitten. schade.
    danke für den link zu Ihrer website. werde ich weiterverfolgen.
    beste grüße, gerhard mangott

  5. Andrej Jerofejew, Kurator für moderne Kunst in Moskau, selbst vor zwei Jahren wegen einer religionskritischen Ausstellung zu einer Geldstrafe verurteilt, meint jetzt im Zusammenhang mit dem Pussy Riot-Prozess: “Im letzten Jahrzehnt ist die Kirche zu einem Ersatz der KPdSU geworden, sie steht jetzt für den reaktionären Kern unserer Gesellschaft, sie nährt die Abneigung gegen den Westen, gegen den modernen Menschen überhaupt.” Putin hat sich da für seinen “Weg in die Diktatur” offenbar einen kongenialen Partner angelacht ….

  6. Die neue ORF-Korrespondentin in Moskau, Mag. Carola Schneider, die auch in Moskau studiert hat, schreibt in dem unlängst bei styria erschienenen Buch “Mit eigenen Augen” zum Pussy-Riot-Skandal:
    “Im Februar 2012, kurz vor den Präsidentschaftswahlen, stimmt die Mädchen-Punk-Band Pussy Riot in Russlands wichtigster Kirche, der Moskauer Erlöserkathedrale, ein “Punk-Gebet” gegen Putin an. “Gottesmutter erlöse uns von Putin”, singen die wie immer mit bunten Sturmhauben maskierten jungen Frauen. Wobei sie eigentlich in der Kirche selbst gar nicht singen, sondern nur wenige Sekunden lang herumhüpfen, bevor sie von Wächtern hinauskomplimentiert werden. Das berühmte Skandal-Video, auf dem die Punkgruppe in der Kirche lautstark das Anti-Putin-Lied schmettert, entsteht erst hinterher im Tonstudio. Diese Kunstaktion schlägt wie eine Bombe ein und spaltet bis heute Russland. ….Die Orthodoxe Kirchenführung mit dem engen Vertrauten von Präsident Putin, Patriarch Kirill, an der Spitze spricht von Gotteslästerung und fordert eine harte Bestrafung der Mädchen. Auch Putin selbst, der sich immer wieder gern als streng gläubiger orthodoxer Christ gibt, lässt verlauten, die Protestaktion habe ihm gar nicht gefallen. Die Ermittlungsbehörden lassen sich das nicht zweimal sagen: den drei Mädchen wird wegen “organisierten Rowdytums” der Prozess gemacht und sie werden zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt.”

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