Die Lage in Abchasien verschärft sich, die militärischen Drohgebärden Russlands und Georgiens nehmen zu – und das ist gut so; für Russland und für Georgien. Die Regierungen beider Staaten sind an einer Verschärfung erheblich interessiert.
Die georgische Führung um den Präsidenten Saakashvili versucht durch eine Eskalation der Lage zweifachen Nutzen zu ziehen: zum einen stehen im Mai Parlamentswahlen in Georgien an; angesichts der sozialen Marginalisierung breiter Bevölkerungsschichten, die trotz anhaltend hohen Wirtschaftswachstums kaum ein höheres Haushaltseinkommen erzielen können; aber auch angesichts der autoritären und selbstgerechten, vermutlich auch korrupten Herrschaftspraxis Saakashvilis sind die Aussichten der Regierungspartei ‚Nationale Bewegung‘ düsterer geworden. Die Absetzbewegung aus der Staatspartei setzt langsam ein – so hat sich die Parlamentspräsidenten Burdschanadze von Saakashvili abgesetzt -, die Unterstützung für die, allerdings fragmentierte, Opposition, die noch dazu keine wirkliche Führungsfigur aufzubieten hat, nimmt zu. Saakashvili nutzt die militärische Krise nunmehr geschickt zur Beschwörung der nationalen Einheit, fordert die Opposition auf, nunmehr ‚zusammenzustehen‘. Wer könnte sich denn einem ‚Burgfrieden‘ verschliessen, wenn angeblich die Zerschlagung des Heimatlandes bevorstehe.
Russland wiederum setzt derzeit auf eine zweigleisige Strategie: Zum einen hebt die russländische Regierung sukzessive die Blockade- und Sanktionspoltik gegenüber Georgien auf: der russländische Botschafter ist zurückgekehrt, die Flug- Bahn- und Postverbindungen wurden wieder aufgenommen und für die nächsten Wochen wurde die Öffnung mehrerer Grenzübergänge, die Aufhebung der Importverbote für georgische Produkte und die Erleichterung der Visabestimmungen für georgische Wanderarbeiter angekündigt.
Gleichzeitig aber hat Russland die Lage in und um Abchasien aktiv eskalieren lassen: Russland hat das Abkommen über das Verbot von Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrsbeziehungen aus 1996 aufgekündigt und durch einen Erlass Vladimir Putins der bereits bestehenden engen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen offiziellen Charakter gegeben. Den USA und der Europäischen Union damit gleichsam die Folgen der Anerkennung der kosovarischen Unabhängigkeit deutlich zu machen, ist dabei aber wohl nur ein Nebenaspekt – wenn auch nicht völlig irrelevant.
Die Eskalation dient aber kurzfristig vor allem dazu, die substantiellen Autonomieangebote und Zusagen über Finanz- und Wirtschaftshilfe an Abchasien zu unterlaufen, die von der georgischen Führung Abchasien in den letzten Wochen ageboten wurden. Russland hat an einer Lösung des Konfliktes kein Interesse; vielmehr bietet ein verstetigter Konflikt für Moskau die Möglichkeit, die georgische Führung wenn nötig immer wieder unter Druck zu setzen.
Russland hat dabei ein zentrales strategisches Interesse – die Blockade eines Beitritts Georgiens zur NATO. Zwar wurde Georgien die Aufnahme in den Membership Action Plan (MAP) des Bündnisses beim NATO-Summit in Bucharest Anfang April verwehrt; gleichzeitig aber wurde das grundsätzliche Recht Georgiens auf Beitritt zur NATO bestätigt. Die Aufnahme in den MAP auf dem Außenministertreffen der NATO im kommenden Dezember war aber als durchaus möglich angesehen worden. Durch das Anheizen des Abchasienkonfliktes zielt Moskau sicherlich darauf ab, diese Entwicklung zu torpedieren. Russland erwartet, dass sich der Widerstand Deutschlands und Frankreichs gegen die Aufnahme Georgiens in die NATO verstärken wird, wenn sich die offenen Territorialkonflikte in Georgien verschärfen. Die beiden Staaten haben weder ein Interesse daran, ihre exzellenten (Wirtschafts-)beziehungen mit Russland zu belasten noch als Bündnismitglieder in südkaukasische Regionalkonflikte hineingezogen zu werden.
Das Kalkül Moskaus könnte aber durchaus scheitern. Der Druck der USA und der osteuropäischen Bündnismitglieder auf Deutschland und Frankreich, den Widerstand gegen Georgiens MAP-Beteiligung aufzugeben, wird sich verstärken. Paris und Berlin wird es zunehmend schwerer fallen, diesem hartnäckigen Druck standzuhalten. Anstatt den NATO-Beitritt Georgiens damit zu blockieren oder zumindest zu verzögern, könnte Russland letztlich die NATO-Türen für Georgien weit aufmachen.
Da die Bevölkerungen von Abchasien und Südossetien mit russischen Pässen ausgestattet sind, sieht sich Russland als Schutzmacht dieser beiden Territorien, deren endgültiger Status nach den Sezessionskriegen in den 90er Jahren immer noch nicht geklärt wurde. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass das Autonomiestatut Südtirols in der gängigen völkerrechtlichen Diskussion nicht nur für die Zukunft der ethnischen Minderheit der Tibeter in China immer wieder beispielhaft ventiliert wird, sondern dass auch an unserer Fakultät eine Diplomandin aus Georgien in ihrer Arbeit – betreut von Prof. Pallaver – Anknüpfungspunkte beim Südtiroler Sonderstatus für eine mögliche Autonomie Abchasiens gefunden hat. Für Südtirol hat schließlich Österreich eine international verankerte "Schutzmachtfunktion" (auch wenn dies Frattini nicht wahrhaben will) und die SüdtirolerInnen haben italienische Pässe … Die angesprochene Diplomarbeit hat – wie zu hören ist – in Georgien einige Aufmerksamkeit in politischen Kreisen erregt.
Mr. Heiden on South Tyrol and Abkhasia/South Ossetia:
1. Bringing those two (three) cases together, indeed, seems a bit strange even from the first sight – even if one studies only the extent of conflict escalation in Tyrol and in Caucasus and, consequently, the immense blood shed in the latter case with all the aggravating outcomes it could have possibly bring. If I am not mistaken, this is one of the things South Tyroleans never stop to point out – the lack of the massive violence, such as the one we witness later in the other cases. Let alone the fact that the politics of Italian post-war authorities could hardly be even vaguely compared to the authoritarianist endevaours of Mr. Saakashvili.
2. I wonder how often case studies serve purposes different from the ones declared.
Nevertheless, I agree, that such a study would be interresting (or at least amusing) to read.
Prof. Mangott on the topic raised:
What would be the benefits for Russians to have Georgia in the NA club?
Dr. Kamenchuk:
What do you mean by ‘NA club’?
Prof. Mangott: NA – "North Atlantic" – to make things shorter.
Plus… would not it be more honest to call it a club (for a variety of reasons), rather than an organization?
Saakashvilis Kalkül ist aufgegangen: Mit der von ihm geschürten irrealen Kriegshysterie ist es ihm gelungen, mehr als 60 Prozent des Wahlvolks hinter sich als Unterstützer seiner Partei im Parlament zu scharen. Ob er sich damit als seriöser Verhandler für die EU empfiehlt, bleibe dahingestellt. Die EU sollte jedenfalls von sich aus auf einen derartigen "Partner" verzichten. Die NATO wird allerdings einen solchen Vasallen gerne willkommen heißen, notabene er auch von den USA goutiert wird, weil er amerikanischen "Stallgeruch" hat. Im Südkaukasus herrschen eben andere Sitten und Gebräuche. Schließlich stammte seinerzeit der Klosterzögling Josef Stalin von dort her …