Obama will Moskau und Vladimir Putin meiden. Die Absage seines Treffens mit Vladimir Putin war erwartet worden. Die Entscheidung der russischen Führung, dem früheren NSA-Mitarbeiter Snowden vorübergehendes Asyl zu gewähren, war der Anlass dafür, die Ursache aber war sie nicht. Die bilateralen Beziehungen sind auf zahlreichen Feldern seit Monaten zerrüttet. Natürlich wäre Obama harter inneramerikanischer Kritik begegnet, wäre er trotz der Snowden-Affäre nach Moskau gereist. Offen hatten Senatoren von einem Dolchstoß in den Rücken gesprochen, den Putin den USA erteilt habe. Eine Begegnung nur wenig mehr als einen Monat danach, wäre Obama wohl als Zeichen der Schwäche ausgelegt worden. Der wirkliche Beweggrund, den bilateralen Besuch in Russland abzusagen war aber, dass das Treffen sicher ergebnislos geblieben wäre; statt Einigung über für die USA zentrale Anliegen, wären die Meinungsdifferenzen und die offenen Konflikte nicht zu verbergen gewesen. Obama wäre im eigenen Land massiv angegriffen worden, trotz der Affäre um Snowden nach Moskau zu reisen und heftig kritisiert worden, von diesem Treffen auch noch ergebnislos abzureisen.
Drei Minenfelder
Die Differenzen und Konflikte zwischen Russland und den USA sind zahlreich und tiefgehend. Die drei zentralen Verwerfungen bestehen bei der Lösung des Bürgerkrieges in Syrien, die Zukunft der nuklearen Rüstungskontrolle und die Lage der Menschenrechte in Russland, die durch den autoritären Kurs Vladimir Putins immer stärker beschränkt werden. Im Hinblick auf Syrien hatten sich beide Seiten zwar im Mai auf eine Verhandlungslösung verständigt, die im Rahmen der Genf-2 Konferenz ausgearbeitet werden sollte. Eine wirkliche Einigung darüber, ob al-Assad der angestrebten Übergangsregierung angehören dürfe, war aber nicht erreicht worden. Sowohl Russland als auch die USA waren nicht in der Lage oder nicht willens, auf die syrischen Lager ausreichend Druck auszuüben, an den Verhandlungstisch zu kommen. Erneut hatte sich dabei gezeigt, wie fragmentiert die syrischen Aufständischen politisch wie militärisch sind. Die Entscheidung Obamas, die militärische Unterstützung der Rebellen zu verstärken, hat die Genf 2 Initiative weiter beschädigt.
In der strategische Rüstungskontrolle zeichnet sich auch keine Einigung ab und ist auch für die kommenden Jahre nicht erwartbar. Die in der State of Union Address im Jänner 2013 und in Berlin im Juni 2013 angebotene weitere Abrüstung der strategischen Offensivwaffen wird von Russland derzeit abgelehnt: Zum einen fordert Russland weiterhin eine gleichzeitige Bearbeitung der Rüstungskontrolle bzw. Abrüstung bei strategischen Offensiv- und Defensivwaffen; Russland lehnt die Einbeziehung von low yield nuclear weapons (Nuklearwaffen mit weniger als 100 Kilotonnen Sprengkraft) in den Verhandlungsprozeß ab und verlangt zudem konventionell bestückte Langstreckenraketen (Prompt Global Strike, PGS) zu den strategischen Offensivsystemen dazuzurechnen. Zudem verlangt Russland, das französische und das britische Raketenarsenal in die Verhandlungen miteinzubeziehen. Im Hinblick auf strategische Defensivsysteme – Raketenabwehrsysteme – ist eine Einigung auf absehbare Zeit auszuschließen. Russland fordert weiterhin eine völkerrechtlich verbindliche Garantieerklärung der USA, dass das Raketenabwehrsystem nicht gegen Russland gerichtet wird. In diesem Vertrag sollen Höchstzahl der Interzeptoren, Interzeptorgeschwindigkeiten, Sensoren und Radartypen, Stationierungsorte u.a. geklärt werden). Der Vorschlag Obamas, ein allgemein formuliertes, diese spezifischen Forderungen Russlands nicht enthaltendes, executive agreement abzuschließen, wird von Russland zurückgewiesen. Die rezente Entscheidung von Obama II, auf Phase 4 zu verzichten, wird von der russländischen Führung als ungenügend bezeichnet. Vorbehalte Russlands gibt es auch gegen Phase 3; zudem könne – so die russländischen Kritiker – die Phase 4 jederzeit wiederbelebt werden und es gäbe keinerlei Garantie, wie viele Phasen darauf noch folgen könnten.
Zuletzt hat die offene Kritik der USA an der repressiven Linie Putins in Russland die Beziehungen belastet. Das „Agentengesetz“, das politisch tätige NGO’s, die Gelder aus dem Ausland erhalten zwingt, sich als „Agenten“ zu bezeichnen; politisch motivierte Strafverfahren und Verhaftungen führender Aktivisten der Bürgerproteste; die Ausweisung der USAID (United States Agency for International Development) aus Russland; die strikten Gesetze gegen Homosexuelle – darauf haben Obama, vor allem aber auch der Kongress mit massiver Kritik reagiert. Putin wiederum sieht in den USA den Anfstifter und den Geldgeber für die Bürgerproteste und die oppostionellen Aktivisten in Russland.
Zerrüttet wie seit 2008 nicht mehr
Es ist nicht zu bestreiten, dass die bilateralen Beziehungen so belastet sind, wie seit dem Krieg zwischen Russland und Georgien im August 2008 nicht mehr. Kurz danach – im Februar 2009 – hatte Obama mit der Initiative „Reset“ versucht, das Verhältnis zu Russland zu verbessern. Die präsidentielle Reset-Initiative hat zwischen 2009 und 2011 beachtliche Ergebnisse erzielt: Dies sind neben New Start, das 123-Agreement on Civil Nuclear Cooperation, das Agreement to Save and Dispose Weapons Grade Plutonium, das Northern Distribution Network für Versorgung und Abtransport von militärischen und technischen Gütern und Soldaten u.a. über russländisches Territorium und die Einrichtung eines logistischen Hubs in Uljanovsk, den Verzicht Russlands, S-300 Luftabwehrraketen an den Iran zu liefern, die Zustimmung Russlands im Rahmen des SR der VN weitere umfassende Sanktionen gegen Iran zu beschließen, die Zusammenarbeit bei counter-terrorism, counter-narcotics und counter-piracy, die Mitgliedschaft Russlands in der WTO und ein Visa Facilitation Regime. Teil des Erfolgs war auch der erkennbare Verzicht von Obama I, die Annäherung Georgiens (die Ukraine hat ihre NATO-Ambitionen seit dem Regierungswechsel im Februar 2010 ohnehin aufgegeben) an die NATO voranzutreiben.
Die Agenda hatte sich aber 2011 langsam erschöpft und der Führungswechsel in Russland das mühsam aufgebaute Vertrauen erschüttert. Die persönlichen Beziehungen zwischen Medvedev und Obama waren sehr gut gewesen. Die Rückkehr Putins belastete die bilateralen Beziehungen, weil Putin gegenüber den USA sehr reserviert, skeptisch und ablehnend ist. Die Absage des Besuchs in Moskau bedeutet das definitive Ende dieses kooperativen Ansatzes der USA. Es ist zu erwarten, dass Obama die Beziehungen zu Russland abwerten und weniger Zeit und (politische) Ressourcen auf Russland verwenden wird. Russland wird gezeigt werden, dass es keine gleichberechtigten Beziehungen mit den USA erwarten könne, weil es den USA machtpolitisch völlig unterlegen sei. Trotzdem aber fürchten die USA bei einer verhärteten bilateralen Lage vor allem die Fähigkeit Russlands, US-Initiativen zu blockieren oder zu vereiteln (spoiler state). Russland kann die Interessen der USA nicht gefährden, ist aber in der Lage, die Hürden für deren Durchsetzung anzuheben.
Dieser Kommentar ist online unter http://www.eu-infothek.com/article/abendfrost-die-krise-den-beziehungen-zwischen-russland-und-den-usa erschienen.
Foto: http://www.newyorker.com/online/blogs/borowitzreport/2013/06/obama-putin-agree-never-to-speak-to-each-other-again.html