Die Europäische Union hat 2006 18.7 Prozent der globalen Rohölproduktion und 17 Prozent der Gasproduktion konsumiert. Die EU besitzt aber nur 0.6 Prozent der globalen Öl- und nur 1.4 Prozent der globalen Gasreserven. Zugleich aber sind 39.6 Prozent des Primären Energieaufkommens der EU Öl und 26.6 Prozent Erdgas.
Die EU ist daher stark vom Import fossiler Brennstoffe abhängig, immer mehr auch bei Erdgas. 37 Prozent des Gaskonsums der EU werden derzei eigenproduziert, 62.7 Prozent des Erdgaskonsums aber müssen bereits importiert werden. Der Importanteil wird weiter anwachsen, weil die Erdgasförderung innerhalb der EU stark rückläufig ist – dies gilt besonders stark für die Gasproduktion im britischen Sektor der Nordsee – der Erdgasverbrauch aber deutlich zunehmen wird. 29 Prozent des europäischen Gaskonsums werden aus Russland importiert, 17 Prozent aus Norwegen und 13 Prozent aus Algerien und fast 3 Prozent aus Nigeria.
Angesichts der Importabhängigkeit im Gassektor von nur wenigen Anbietern ist die EU sehr daran interessiert, sowohl Gasversorger als auch Gasversorgungsrouten zu diversifizieren. Ein Schlüsselprojekt ist dabei die Nabucco-Pipeline, die Erdgas aus dem nahöstlich-kaspischen Raum in die EU führen soll; vom türkischen Erzurum über Bulgarien, Rumänien, Ungarn bis zur Gasverteilerplattform in Baumgarten.
Das von der OMV geführte Betreiberkonsortium (dem auch die deutsche RWE, die ungarische MOL, die rumänische Transgaz, sowie Bulgargaz und die türkische Botas angehören) konnte bislang noch keine auseichenden Gaslieferverträge abschließen – noch nicht einmal für die start-up Phase, deren Beginn mittlerweile auf 2013 verschoben wurde und die ein Mindestaufkommen von 9 Mrd. m3 (bcm) erfordert. Erdgas aus Azerbajdžan ist für die erste Ausbaustufe die zentrale Bezugsquelle. Die derzeit ausgebeuteten Felder Azerbaidžans liefern bislang nur 9 bcm, von dem der wachsende Binnenverbrauch aber auf die bereits bestehenden Lieferverpflichtungen an Georgien und an die Türkei abgedeckt werden müssen.
2013 wird mit der Phase 2 der Förderung im Shah-Deniz Erdgasfeld zusätzliches Gas in Azerbajdzan produziert werden, aber vorerst nur ca. 15 bcm. Betreiber dieses Konsortiums ist British Petroleum. Nabucco muss daher zusätzlich auf andere Lieferländer zurückgreifen. Das kann auch Russland sein, auch wenn damit das strategische Ziel der Lieferländerdiversifikation aufgeweicht würde.
Die erste Option für das Nabucco-Konsortium ist daher turkmenisches Erdgas. Turkmenistan produzierte 2007 68 bcm, hat aber ab 2010 Lieferverpflichtungen im Umfang von 125 bcm – 85 bcm an Russland, 30 bcm an China und 10 bcm an Iran. Nachdem es bislang keine unabhängigen Schätzungen über die Erdgasreserven Turkmenistans gibt, wird Turkmenistan zumindest auf absehbare Zeit kein ausreichend hohes Fördervolumen für Nabucco bereitstellen können. Zudem müsste dazu eine Pipeline von Turkmenistan nach Baku geführt werden; aufgrund des umstrittenen völkerrechtlichen Status des Kaspischen Meeres ist aber auch dieses Vorhaben schwierig.
Darüber hinaus verhandelt Turkmenistan derzeit auch über den Ausbau seines Exportvolumens in den nördlichen Iran und an der TAPI-Leitung, mit der turkmenisches Gas über das westliche Afghanistan nach Pakistan und Indien exportiert werden soll.
Zusätzlich zum turkmenischen Erdgas könnte auch auf ägyptisches Erdgas zugegriffen werden, das derzeit über Jordanien bis nach Syrien transportiert wird. Diese ‚Arabische Gaspipeline‘ soll in die Türkei verlängert werden, wo deren Gas in Nabucco eingespeist werden kann. Die Türkei könnte dieses Gas aber auch im Mittelmeerhafen von Ceyhan in Flüssiggas (LNG) umwandeln und auf dem Seeweg exportieren.
Langfristig ist auch denkbar, dass das große, noch unerschlossene Gasfeld Akkas im westlichen Irak über die Arabische Gaspipeline in die Türkei geführt und in Nabucco eingespeist werden könnte.
Für die Rentabilität von Nabucco ist eine Transportmenge von 31 bcm erforderlich. Aus derzeitiger Sicht kann dieses Volumen ohne iranisches Erdgas nicht erzielt werden. Zwar exportiert Iran derzeit nur sehr wenig Erdgas (20 bcm) und zwar in die Türkei. Allerdings hält Iran nach Russland die zweitgrößten gesicherten globalen Erdgasreserven (16 Prozent). Bis zu 60 Prozent davon liegen in dem weitgehend unerschlosseneFeld ‚South Pars‘. Zugriff auf dieses Gas ist für die Energiesicherheit der EU strategisch unerlässlich.
Investitionen der OMV in den iranischen Gassektor sind daher sinnvoll. Die Beteiligung an der Entwicklung von Block 12 des South Pars Gas Field, Investitionen in die Flüssiggasproduktion (LNG) sowie Bezugsverträge von iranischem LNG, das über einen geplanten Regasifizierungsterminal in Kroatien leitungsgebunden nach Zentraleuropa transportiert werden kann, ist aus der Sicht verstärkter Energiesicherheit höchst wünschenswert.
Iranisches Erdgas kann über Landleitungen in Nabucco eingespeist werden, aber auch zusätzlich als LNG, ebenso wie qatarisches Flüssiggas, auf europäische Märkte geführt werden.
Vorbehalte gegen das iranische Regime und sein Vorhaben, eine nukleare Waffenoption zu entwickeln, sind zwar nachvollziehbar. Deswegen aber die Zusammenarbeit im Energiesektor zu blockieren, ist aus strategischen Überlegungen nicht zweckmäßig. Zwar ist es richtig, dass die steigende Exportkapazität im Gassektor für Iran zusätzliche Exporteinnahmen ermöglicht. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass nicht nur EU Konzerne Interesse an den iranischen Erdgasvorkommen haben. Es sind Indien und China, und mittelfristig auch Japan, die erhebliche Gasimporte aus Iran anstreben.
Die Errichtung eines Leitungsnetzes von Iran über Pakistan nach Indien – die so genannte ‚Friedenspipeline IPI‘ – könnte auch nach China verlängert werden. Auch ist ein Ausbau der LNG-Kapazitäten Irans zu erwarten, wodurch zusätzliche Exportmärkte erschlossen werden können.
Auch die russländische Gazprom schickt sich an, in den iranischen Markt massiv einzusteigen. Das iranische Regime wird also ohnehin aus dem Gasexport zusätzliche Exporteinnahmen gewinnen können. Es stimmt natürlich, dass die europäische Fördertechnologie der chinesischen deutlich überlegen ist; richtig ist auch, dass Iran kein Interesse hat, lediglich nach Osten führende Exportleitungen aufzubauen.
Aber genau daraus ergibt sich das gemeinsame Interesse des Iran und der EU im Gassektor. Investitionen der OMV in der iranischen Gaswirtschaft sind daher nicht nur aus Sicht erwartbarer Unternehmenssgewinne, sondern v.a. aus Energiesicherheitserwägungen der EU unabdingbar. Diese müssen auch gegen den Widerstand der USA über den Iran Libya Sanctions Act (1996) durchgesetzt werden. Dies kann derzeit aber als wenig wahrscheinlich gelten, zumal Royal Dutch Shell und Repsol ihren Rückzug aus Block 14 von South Pars einleiten (wohl aber Block 23 und 24 halten werden).
Neben der USA ist es auch Russland, das kein Interesse am Erdgasexport Irans in die EU hat. Gazprom möchte den europäischen Markt exklusiv bedienen und wird alles daran setzen, Irans Gasexporte in die EU zu blockieren und nach Osten zu leiten. Der Verzicht der EU auf iranisches Gas wäre daher ein törichter Beitrag zur Errichtung eines Gaskartells, das erheblichen Preisdruck auf den europäischen Gasmarkt bewirken könnte.
Dies ist die Vollversion eines Kommentars, der am 18. Juni 2008 in der Zeitung ‘Die Presse’ leider nur gekürzt publiziert wurde.
Darauf, dass "Die Presse" diesen Beitrag gekürzt hatte, kann man sich wohl einen Reim machen …
Eine "Gas-OPEC" kommt übrigens sowieso, seit einer diesbezüglichen Konferenz in Katar 2007 basteln Russland, Iran und Katar so wie andere Interessierte bereits eifrig daran. Dann wird auch das angestrebte neue Partnerschaftsabkommen zwischen Russland und der EU an den wirtschaftlichen "Sachzwängen" nicht viel ändern können. Europa wird sich so oder so (auch) auf höhere Gaspreise (im Gefolge der höheren Ölpreise) einstellen müssen (mit allen daraus resultierenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen).