Der russländische Präsident Putin hat nach einem Gespräch mit dem OSZE-Vorsitzenden Burkhalter eine neue diplomatische Initiative begonnen. Putin empfiehlt den Aufständischen in Doneck und Lugansk, das für den 11. Mai 2014 geplante „Referendum“ über die staatliche Selbständigkeit zu verschieben. Damit sollen die Bedingungen für einen „offenen, ehrlichen und gleichberechtigten“ nationalen Dialog geschaffen werden, den Putin ausdrücklich vorschlägt/fordert. Als Voraussetzung dafür sieht Putin aber auch das Aussetzen der anti-terroristischen Operation in der südöstlichen Ukraine durch die Regierung in Kiev. Wenn die Rechte aller Bürger geschützt werden, i.e., wenn die militärischen Operationen eingestellt seien, wäre die Präsidentenwahl in der Ukraine am 25. Mai auch „ein Schritt in die richtige Richtung“.
Putins Initiative zielt darauf, den Druck auf Russland in der ostukrainischen Krise zu mildern und in den kommenden Tagen anstehende Entscheidungen über neue Sanktionen gegen Russland hintanzuhalten. Russland signalisiert Felexibilität und setzt die ukrainische Interimsregierung unter Druck, militärische Zugeständnisse zu machen, wenn sie nicht als Saboteur einer neuen diplomatischen Dynamik gelten will. Mit dem geforderten Aussetzen der anti-terroristischen Operation will Russland zugleich die Geländegewinne der Aufständischen absichern. Schließlich hat sich Russland auch nicht grundsätzlich gegen ein Referendum in Doneck und Lugansk gewandt. Die erneute Eskalation der Lage ist daher jederzeit wieder möglich.
Der nunmehr erneut angekündigte Rückzug der russländischen Truppen von der Ostgrenze der Ukraine muss nun auch tatsächlich stattfinden; die wiederholte Ankündigung des Rückzugs, der dann unterbleibt, macht die russländische Position in der Krise nicht unbedingt glaubwürdiger.
Der nationale Dialog, den Putin unterstützen will, ist sicher unverzichtbar; es wird aber eine hohe Hürde sein, sich auf die Zusammensetzung eines solchen Forums zu einigen.
Der ukrainische Interimsministerpräsident Jazenjuk hat auf die russländischen Vorschläge leider ablehnend reagiert. Er meinte, in der Ukraine wäre am 11. Mai ohnehin kein Referendum geplant gewesen. Sollten die Aufständischen ihr „Referendum“ also verschieben, sei das deren Angelegenheit. Der vermutliche nächste Präsident der Ukraine Petro Porošenko hingegen zeigte sich der neuen russländischen Initiative gegenüber offen, auch wenn er die militärischen Operationen gegen die ostukrainischen Separatisten unterstützt.
Auch das Auswärtige Amt in Berlin hat der ukrainischen Interimsregierung geraten, die diplomatischen Bemühungen durch eine fortgesetzte anti-terroristische Operation nicht zu beschädigen.
Die OSZE wird nun rasch eine road map zur Beruhigung der Krise vorlegen. Dazu zählen die vier Kernelemente Waffenruhe, nationaler Dialog, Entwaffnung und Wahlen. Wenn die ukrainische Interimsregierung auf die neue diplomatische Initiative ablehnend reagiert, wird die Verantwortung für die innerukrainische Krise nicht zuzletzt auch in Kiiv zu suchen zu sein. Das Angebot, über Möglichkeiten der Dezentralisierung nachzudenken, ist jedenfalls zu wenig. Die Dezentralisierung der Macht in der Ukraine ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Beruhigung der Krise.
Addendum: Unmittelbar nach diesem Blogeintrag wurde bekannt, dass die Aufständischen an der Durchführung des Referendums festhalten: Das könnte ein Signal sein, dass Russland die Separatisten nicht völlig kontrolliert (was russländische Stellen oft erklärt haben), oder aber – das negative Szenario – Putin hat sich zwar persönlich gegen das Referendum ausgesprochen, wusste aber bereits, dass die Aufständischen sich anders entscheiden würden. Dann wäre die gestrige Aussage von Putin nur ein Manöver gewesen, den Eindruck zu erwecken, dass Russland mit den Aufständischen nichts/wenig zu tun hat. Umgekehrt können die Aufständischen mit ihrer heutigen Ankündigung absichtlich den Eindruck erwecken wollen, dass sie von Russland nicht kontrolliert werden.
Wir werden bald wissen, was davon stimmt: Wenn Russland die Referendumsergebnisse nicht anerkennt, dann war Putins Vorstoß ernst gemeint. Tut es das doch, dann wäre Putin wohl eines Täuschungsmanövers überführt.