Der ukrainische Präsident Poroshenko hat am heutigen Tag ein Dekret unterzeichnet, das die Teilmobilisierung aller Reservisten bis 40 Jahre, und aller Offiziere bis 45 Jahre vorsieht. Ziel dieser Anordnung ist die militärische Stärkung der “anti-terroristischen Operation” gegen die separatistischen Rebellen in den Regionen Donezk und Lugansk.
Dieses Dekret ist ein weiterer Indikator für die Entschlossenheit der ukrainischen Führung, die Rebellion in der östlichen Ukraine militärisch zu lösen. Bestärkt durch die mutmassliche – bislang allerdings nicht bewiesene – Täterschaft der Rebellen beim Abschuss der MH17 und die internationale Empörung über dieses Verbrechen, wird die anti-terroristische Rhetorik verstärkt und der Konflikt auf die militärische Dimension reduziert. Dabei wird gänzlich ausgeblendet, dass es sich dabei zwar um einen Konflikt mit ausländischer Einmischung handelt, es aber auch ein innerukrainischer Konflikt ist, dessen Ursachen nicht beseitigt sind.
Wenn die Ukraine aber am Ziel eines Siegfriedens festhält und nicht bereit ist, über eine beidseitige Waffenruhe und eine politische Lösung zu verhandeln, wird der Konflikt nicht befriedet werden können. Wie ich schrieb, bietet die jetzige Konstellation Chancen für eine Verhandlungslösung, weil Russland unter Druck steht. Moskau wird von der Unterstützung der Rebellen aber nicht abkehren, solange Kiev nicht an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Wie Putin heute nach der Sitzung des Sicherheitsrates Russlands meinte, werde sich Russland auch nicht mit Ultimaten davon abhalten lassen, Russen zu schützen, wenn sie in Gefahr sind.
Putin wird also auch bei Sanktionsdrohungen nicht von der Unterstützung der Rebellen abgehen, wenn er dafür nicht eine Gegenleistung bekomt. Es muss daher rasch zu einem Treffen Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs auf höchster Ebene kommen, um zu einem belastbaren Waffenstillstand und politischen Gesprächen zu gelangen. Russland muss als Gegenleistung dafür, die russisch-ukrainische Grenze unter Aufsicht für Waffen- und Rebellennachschub schließen.
Sehr geehrter Herr Mangott,
vielen Dank für den Doppelbeitrag zur Situation in der Ukraine nach der Katastrophe des Fluges MH17. Sie erwähnen die Wichtigkeit von Verhandlungen für eine dauerhafte Lösung des Konflikts. Mir stellt sich dabei dir Frage mit wem denn verhandelt werden soll. Ukraine, Russland, Frankreich und Deutschland sind einleuchtend (wenngleich in der Besetzung m. M. n. Polen fehlt, aber sei’s drum). Wer von den Aufständischen/Seperatisten/”Terroristen”/”Befreiungsarmee” kann denn mit Legitimität verhandeln und/oder hätte auch das Interesse? Die “Warlords” oder selbsternannten Minister und Premiers haben keinerlei Legitimität und in vielen Fällen (Besler, Girkin) kein Interesse zu verhandeln. Verhandlungen mit ihnen würde einer Anerkennug gleichkommen und damit einen großen Schritt in Richtung dem Ziel, dass man m. E. im Kremel hegt: ein “frozen conflict” à la Transnistrien oder Südossetien. Dies wird aber die Ukraine um so gut wie jeden Preis verhindern wollen und kann auch nicht im Interesse der westlichen Verhandlungspartner sein.
Legitimierte Verhandlungspartner wären am ehesten noch Bürgermeister der Städte (sind immerhin gewählt) und Mitglieder von Regionalparlamenten sowie eventuell Vertreter von NGO’s oder der Zivilgesellschaft. Kommt man mit ihnen zu einer Lösung, was wohl ziehmlich schnell zu erreichen wäre, hätte das aber keinerlei Einfluss auf die bewaffneten Kämpfer, die ja bereits die DNR und LNR ausgerufen haben, also würde nicht an deren Machtanspruch ändern. Daher meine Frage: Mit wem soll verhandelt werden? Und wenn ja, wie ist mit einer Umsetzung zu rechnen? Z. B. für Verfassungsänderungen ist ein zeitlicher Vorlauf, eine landesweite Diskussion sowie eine Mehrheit im Parlament notwendig. Im Parlament kommt in den Sitzung derzeit aber kaum die erforderliche Anzahl für eine Verfassungsänderung zusammen.
Außerdem habe ich noch in einer Frage klärungsbedarf: wie genau sieht der interne Konflikt aus? Sprachproblematik (die in vielen Fällen wohl übertrieben dargestellt wird, wenn man die reinen Zahl an russischen Publikationen, russischen Schulen, russischen Fernsehsender, russischsprachigen Kursen an Hochschulen, den alltagsgebrauch Teilen der staatlichen Verwaltung oder in der Verkhovna Rada sieht ) (http://www.deutschlandradiokultur.de/ukraine-zugestaendnis-an-die-nationalistischen-kraefte.954.de.html?dram%3Aarticle_id=278496) und Zentralismus (der vom “Donbasspräsidenten” Yanukovych sehr extrem gehandhabt wurde, ohne dass auch nur im geringsten Rücksicht auf die örtlichen Interessen in Lviv oder gar Kiew (“Bürgermeisteramtsverweser” Popov) genommen wurde und es dort aber zu keiner solchen “Reaktion” kam. (Die Lemberger Volksrepublik hätte auch gerade noch gefehlt….). Gibt es weitere Forderungen aus dem “Osten”?