Russland, Ukraine und die Gasversorgung der EU

Die Europäische Union ist für die Bereitstellung von Wärme, Elektrizität, Transportmobilität und Energie für industrielle Prozesse noch immer stark von fossilen Brennstoffen abhängig. 76,6 Prozent des Primärenergieaufkommens ruhte 2013 auf fossilen Energieträgern. Der Anteil von Erdöl lag 2013 bei 36,1 Prozent, der Gasanteil bei 23,5 Prozent und der Anteil der Kohle bei 17 Prozent. Österreich liegt bei Erdöl leicht über dem Durchschnitt der EU (36,8 Prozent), bei Erdgas leicht niedriger (22,4 Prozent); nur bei Kohle ist Österreich mit 10,6 Prozent des Primärenergieaufkommens deutlich unter dem Durchschnitt der EU.

Der Anteil von Erdöl am Primärenergieaufkommen der EU ist seit Jahren rückläufig; Der Gasanteil bewegt sich im Vergleich der letzten Jahre zwischen 23 und 25 Prozent; der Anteil der Kohle ist durch den Einsatz billiger Kohle aus den USA in den letzten Jahren wieder leicht gestiegen.

Die EU hat 2013 431,8 Mrd. m3 Erdgas konsumiert – noch immer deutlich weniger als vor der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008. Die eigene Gasproduktion ist seit vielen Jahren stark rückläufig; vor allem wegen der seit 2000 stark zurückgehenden britischen Gasförderung. Die Gasproduktion der EU erreichte 2013 nur mehr 140,5 Mrd.m3. 306,1 Mrd. m3 mussten 2013 daher importiert werden. Das ist ein Importanteil von 70,9 Prozent. Diese Importabhängigkeit steigt schon seit vielen Jahren und wird sich in den kommenden Jahrzehnten weiter deutlich erhöhen.

Russland ist der wichtigste Gaslieferant der Europäischen Union. Der Anteil von Gas aus Russland (126,2 Mrd.m3) an den gesamten Gasimporten der EU lag 2013 bei 41,2 Prozent; der Anteil am Gaskonsum der EU bei 29,2 Prozent. An zweiter Stelle der Gasversorger der EU liegt Norwegen, an dritter Stelle befindet sich Algerien.

In Russland hält das staatlich kontrollierte Unternehmen Gazprom noch immer das gesetzliche Exportmonopol für leitungsgebundenes Erdgas. Nur Flüssiggas (LNG) kann auch von anderen (privaten) Gasunternehmen ausgeführt werden. Die europäischen Erdgasimporte aus Russland beruhen aber ausschließlich auf leitungsgebundenem Erdgas. Aufgrund der Ausrichtung der sowjetischen Gasexporte führen die Gasexportleitungen Russlands ausschließlich nach Europa – in die EU, die Türkei und auf den westlichen Balkan.

Gazprom exportierte 2013 220,9 Mrd. m3 Erdgas. 73,1 Prozent davon wurden in die EU, die Türkei und den westlichen Balkan (Bosnien, Serbien, Mazedonien) exportiert. Daran wird deutlich, wie zentral der europäische Absatzmarkt für Gazprom ist. Auf Deutschland – dem wichtigsten Abnehmer von russischem  Erdgas – entfielen 2013 18,6 Prozent der russischen Gasexporte; auf die Türkei 12,1 Prozent und Italien 11,5 Prozent.

26,9 Prozent der russischen Gasexporte wurden 2013 in den Ländern der ehemaligen UdSSR verkauft. Die Ukraine war 2013 der wichtigste Abnehmer mit 25,8 Mrd.m3; dahinter folgte Belarus mit 19,8 Mrd.m3.

Die Ukraine war bislang nicht nur ein wichtiger Abnehmer von russischem Erdgas, sondern ist noch immer das wichtigste Transitland für russisches Erdgas in die EU und die Türkei. 2013 wurden 52 Prozent der russländischen Erdgasexporte in diese Staaten über die Ukraine transportiert.

Bis 1999 hatte die Ukraine überhaupt das Monopol auf den Transit russischer Erdgasexporte. Es war daher das strategische Ziel Russlands, Umgehungsleitungen zu bauen. 1999 wurde die Yamal-Leitung, die über Belarus und Polen nach Deutchland führt, eröffnet. 2003 folgte die Leitung Blue Stream, die Russland und die Türkei über das Schwarze Meer verbindet. 2011 schließlich wurde mit der Nord Stream Gasleitung eine direkte Leitungsverbindung zwischen Russland und seinem wichtigsten Absatzmarkt Deutschland eingerichtet.

Als Schlussstein dieser russischen Diversifizierungspolitik ist die Leitung South Stream vorgesehen, die Russland mit Bulgarien verbinden und das Gas über Serbien und Ungarn nach Österreich transportieren soll. Trotz bestehender zwischenstaatlicher Verträge dieser Länder mit Russland ist dieses Vorhaben aber ins Stocken geraten. Die Europäische Kommission sieht in den rechtlichen Vereinbarungen Verstösse gegen das Dritte Energiepaket der EU, in dem die Entflechtung von Produktion und Transport von Energieträgern vorgesehen ist. Gazprom darf demnach nicht gleichzeitig Lieferant des Erdgases und Eigentümer der Transportleitung sein. Überdies müsste Gazprom auch dritten Anbietern Zugang zu South Stream einräumen und die Transporttarife durch einen unabhängigen Regulator festsetzen lassen. Eine Ausnahme von diesen Auflagen für South Stream liegt nicht vor; Gazprom hat nicht einmal einen Antrag dafür gestellt.

Der ukrainische Ministerpräsident Jazenjuk hat Ende August 2014 davor gewarnt, dass Russland im kommenden Winter die Gasversorgung Europas einstellen würde.

Ein Abbruch der Gaslieferungen Russlands an die EU ist aber sehr unwahrscheinlich. Russland würde damit die Einnahmen der Verkäufe auf dem lukrativsten Markt von Gazprom verlieren. Aus der Gaswirtschaft stammen immerhin sieben Prozent der budgetären Einnahmen. Zudem wäre Gazprom bei Lieferunterbrechungen zu hohen Pönalezahlungen an die europäischen Abnehmer verpflichtet. Überdies würde dadurch mittelfristig der Marktanteil Gazproms am europäischen Gasmarkt erheblich sinken – weil die EU Erdgas durch andere Energieträger zu substituieren versuchen und neue Gasanbieter suchen würde.

Jazenjuks Äusserungen sind daher eher als Versuch der ukrainischen Regierung anzusehen, den bilateralen Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine zu internationalisieren und die Rolle Russlands als Energieversorger der EU zu diskreditieren.

Im Juni 2014 hat Russland die Gaslieferungen an die Ukraine eingestellt. Auslöser des Streits sind Differenzen über den Preis, den Russland von der Ukraine für seine Gaslieferungen fordert. In den von der EU vermittelten Gesprächen hatte Russland zuletzt einen Gaspreis auf Rabattbasis von 386 USD/1.000 m3 angeboten. Die Ukraine beharrte aber auf einem Fixpreis von maximal 326 USD/1.000m3. Ausgehend von der Uneinigkeit über den zumutbaren Preis bestehen auch eklatante Differenzen über die ausstehenden Schulden der Ukraine für bereits erfolgte Gaslieferungen.

Bislang konnte die Ukraine ihren Gasbedarf seit Juni durch die eigene Produktion (2013 von 19,3 Mrd.m3) und den Rückgriff auf Gas in den großen Lagerstätten in der westlichen Ukraine decken. Dies wird in den Wintermonaten aber nicht ausreichen, um alle Privathaushalte und die Industrie zu versorgen. Die Ukraine versucht zwar, die ausbleibenden Gaslieferungen durch den Import von Erdgas über Polen, Ungarn und die Slowakei partiell auszugleichen. Diese Mengen sind aber mit maximal 10 Mrd.m3 zu gering, um den ausbleibenden Import von russischem Gas zu substituieren. Eine Einigung mit Russland über Gaspreis und Schulden ist daher unabdingbar, um eine Versorgungskrise in der Ukraine zu vermeiden.

Russland warnt daher die Europäische Union davor, dass die Ukraine im Winter Gas aus den Transitleitungen entnehmen könnte. Selbst wenn Russland seinen Lieferverpflichtungen nachkommt, würde dann weniger als die vertraglich vereinbarten Mengen in der EU zur Verfügung stehen.  Angesichts der gut gefüllten Gasspeicher und die vorhandenen Leitungsinterkonnektoren könnte eine solche Versorgungskrise aber für einige Zeit abgewehrt werden.

Innerhalb der EU zeichnet sich unabhängig davon ab, die Abhängigkeit von Russland im Gassektor zu verringern. Die beiden Hauptstossrichtungen sind dabei die Nutzung von Schiefergasvorräten in der EU (trotz aller ökologischer Bedenken) und der Import von flüssigem Schiefergas aus der USA. Nach optimistischsten Schätzungen könnten in 4-6 Jahren bis zu 40 Mrd. m3 Erdgas aus der USA importiert werden. Offen ist, ob US-Produzenten exportberechtigtes Flüssiggas nicht lieber auf asiatischen Märkten absetzen werden, wo die Preise für LNG deutlich höher sind als in der EU.

Im Hinblick auf Diversifizierungsbemühungen, gilt es zu bedenken, dass die Gasbeziehungen zwischen Russland und der EU eine symmetrische Abhängigkeit darstellen. Die EU ist von Russland als einem wichtigen Versorger abhängig; Russland von einem lukrativen Absatzmarkt in der EU, zu dem derzeit alle Gasexportleitungen führen und wo die höchsten Gaspreise zu erzielen sind. Es wäre daher trotz der belasteten Beziehungen zwischen Russland und der EU ratsam, an dieser Interdependenz festzuhalten.

Foto: http://www.lngworldnews.com/

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