Die Hoffnungen waren ohnehin nur zaghaft, aber sie waren unbegründet. Die Einigung in der International Syria Support Group vom 12. Februar, innerhalb einer Woche die Einstellung der Kampfhandlungen zu erreichen, haben sich rasch zerschlagen. An sich sollte Russland sofort die Intensität seiner Luftoperationen zurückfahren, hat dies aber bislang nicht getan. Stattdessen wurden erneut Krankenhäuser bombardiert – ein Kriegsverbrechen, wenn es absichtlich geschah. Daran gibt es aber kaum Zweifel.
Russland hat mit der Intensivierung seiner Luftschläge in den vergangenen Wochen zusammen mit den Bodentruppen – syrische Regierungssoldaten, schiitische Söldner (vor allem aus Aghanistan), der Hizbollah und iranischen Soldaten – große Geländegewinne erzielt. Die bewaffnete Opposition in den Regionen Latakia und Idlib ist auf dem Rückzug. Kein Grund also innezuhalten, wenn durch die Geländegewinne die Verhandlungsposition des al-Assad Regimes deutlich verbessert werden kann. Kein Grund für die Russen, noch weniger für al-Assad.
Russland unterstützt den politischen Prozess im Rahmen der Genf-3 Verhandlungen. Russland hat auch die Resolution des UNSC 2254 über die politischen Rahmendaten dieser Gespräche unterstützt. Russland wird aber solange weiterkämpfen, bis für seine Interessen am Verhandlungstisch die besten Aussichten bestehen.
Russland verfolgt in der Syrienkrise innersyrische, regionale und internationale Interessen. In Syrien will Russland eine sunnitisch dominierte Regierung verhindern, vor allem eine, an der radikale sunnitische Kräfte beteiligt sind. Die Konsequenzen einer extremistischen sunnitischen Regierung in Damaskus – unter dem Einfluss Saudi Arabiens – für die islamistische Szene im russländischen Nordkaukasus steht dabei im Zentrum der Sorgen Russlands. Dabei sieht Russland oppositionelle Gruppen als extremistisch an, die vom Westen und regionalen Akteuren wie der Türkei und Saudi Arabien als legitime Verhandlungspartner angesehen werden – allen voran Ahrar al-Sham und Jaish al-Islam.
Russland will sicherstellen, dass als Ergebnis der Genfer Gespräche eine Übergangsregierung gebildet wird, in der es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Alawiten, Christen, Kurden und Sunniten gibt. Ausgewogen kann diese Regierung nur sein, wenn die militärische Position der sunnitischen Opposition schwach ist. Die neue Regierung muss auch die russländischen Interessen in Syrien garantieren und die Militärbasen in Tartus und Latakia unangetastet lassen.
In der Region will Russland mit seinem militärischen Engagement den Einfluss der Türkei und Saudi Arabiens zurückdrängen und beschneiden. Auch dieses Ziel können fortgesetzte russländische Militäroperationen Russlands erreichen. Die Türkei und Saudi Arabien werden ihre Luftwaffe sehr wahrscheinlich nicht zur Unterstützung der sunnitischen Verbände einsetzen. Sollten sie es dennoch tun, was nicht ausgeschlossen werden kann, eskaliert die Syrienkrise zu einem militärischen Inferno.
Auch ist Russland geneigt, in der hegemonialen Auseinandersetzungen zwischen Iran und Saudi Arabien die iranische Position zu stärken. Nicht uneingeschränkt, – denn auch Russland hat Vorbehalte gegenüber iranischer Dominanz gerade in Syrien -, aber doch.
International verfolgt Russland mit seinem militärischen Engagement in Syrien mehrere Ziele: Zum einen soll deutlich gemacht werden, dass Russland eine militärische Großmacht ist, die mit den modernisierten Streitkräften Macht auch in Regionen ausserhalb des post-sowjetischen Raumes projizieren kann. Russland hat das in Syrien eindrucksvoll bewiesen. Russland will zugleich deutlich machen, dass regionale Konflikte nicht ohne Beteiligung Russlands, nicht gegen russländische Interessen und nicht ohne Anerkennung Russlands als Großmacht gelöst werden können. Russland will seinen mit den USA gleichberechtigten Status in der internationalen Ordnung zurückgewinnen.
Zum anderen dient das russländische militärische Engagement in Syrien auch dazu, die westliche Neigung, Regime zu stürzen, zurückdrängen. Russland hat in seiner Diplomatie immer sehr stark den Stabilitätsgedanken betont. Russland verweist zurecht auch auf die Ergebnisse westlicher Interventionspolitik in Afghanistan, Irak und in Libyen. Der Versuch, Regierungen in diesen Staaten zu Fall zu bringen, habe das Chaos, die Radikalisierung und die Instabilität in diesen Ländern erhöht. Der radikale jihadistische Islam sei dadurch hervorgerufen oder zumindest bestärkt worden. Russland will daher in Syrien auch die Regierung verteidigen, um einen weiteren Versuch, einen Regierungswechsel zu erzwingen, zu vereiteln.
Russland verfolgt all die genanten Ziele hartnäckig und bedingungslos. Dabei misstraut Russland dem Westen und ist sehr zurückhaltend, auf Kompromisse einzugehen. Die angestrebte Waffenruhe kommt für Russland daher zu früh. Noch ist der Verhandlungstisch für Russland nicht angerichtet. Der Krieg geht weiter.
Foto: msf.org.uk
Sehr geehrter Herr Prof. Mangott,
Vielen Dank für diese präzise Zusammenfassung der Gründe für das Eingreifen Russlands in Syrien.
Je nach Erfolg der Syrienoperation scheinen dabei jeweils verschiedene Motive die Oberhand gewonnen zu haben: Anfangs ein Verhindern des Sturzes von Assad und einer möglichen westlichen Flugverbotszone (“Nie wieder ein Libyen!”), und nach den militärischen Erfolgen der letzten Wochen das Einnehmen einer führenden Position bei der Gestaltung der möglichen politischen Lösung, um eine Wahrung russischer Interessen sicherzustellen. Das Zuschaustellen militärischer Macht und das Einfordern einer “Gleichberechtigung” mit den USA ist meines Erachtens kein unwichtiges generelles Motiv russischen Handelns und daher auch in Syrien präsent, aber stellt doch eher eine “Begleitmusik” als einen treibenden Faktor dar.
Bei den “sicherzustellenden russischen Interessen” ist mein Eindruck, dass Russland jetzt die Gelegenheit ergreift, die wichtigste seiner Interessen zu gestalten: Den Ölpreis. Ein höherer Ölpreis in einem für Russland erträglichen Bereich (USD 60-70?) ist nur mit Unterstützung Saudiarabiens möglich, und es erscheint mir mehr als plausibel, dass die heutigen Gespräche (und die wahrscheinlich noch folgenden) ein starkes Element des Tausches von militärischer Zurückhaltung durch Russland gegenüber von Saudiarabien unterstützter sunnitischer Gruppierungen gegen Förderbeschränkungen durch Saudiarabien enthalten. Das militärische Vorgehen Russlands in den nächsten Wochen und die Fortschritte bei den Gesprächen zur Deckelung der Ölproduktion werden zeigen, ob diese Analyse zutreffend ist… Wenn es stimmt, wird auch deshalb wird Russland nicht weichen, diesen Hebel bei Verhandlungen mit der OPEC kann es nicht mehr aus der Hand geben.
Und Sie wollen ein “Russland-Experte” sein???
Seit wann verbreiten “Experten” westliche Propaganda und unbewiesene Behauptungen als Fakt???
Oje, Oje…
Danke für Ihren unübertreffbaren inhaltlichen Beitrag.
Ein sehr guter Beitrag. Ich wünschte mir Sie würden hier öfter posten und auch wieder einmal ein Buch zur aktuellen Lage und besonders zur Ukraine Krise veröffentlichen. Ihre Ansichten sind meist besonders hilfreich.
Ich werde mich bemühen, wieder öfter zu posten. Lg