Die Ankündigung Vladimir Putins, einen substantiellen Teil der russländischen Streitkräfte aus Syrien abzuziehen war überraschend. Dennoch kann der Rückzug erklärt werden.
Zunächst damit, dass Russland die meisten der strategischen Ziele, die es mit der militärischen Intervention im Herbst 2015 verbunden hatte, erreicht hat. Russland wollte eine Implosion des Regimes von al-Assad und damit auch der staatlichen Strukturen in Syrien verhindern. Das Regime, das durch den Vormarsch der militärischen Kräfte der Opposition in den vorangegangenen Monaten stark geschwächt worden war, sollte stabilisiert, durch militärische Geländegewinne abgesichert und seine Position im Rahmen eines noch zu definierenden Verhandlungsprozesses gestärkt werden. Russland hat mit seiner Intervention in Syrien niemals versucht, eine militärische Lösung des Konfliktes zu erzielen. Das wäre mit dem beschränkten Einsatz von militärischem Gerät und Personal auch nicht erreichbar gewesen.
Das zweite strategische Ziel Russlands, das mit der Militärintervention angestrebt wurde, ist auch erreicht worden. Russland machte deutlich, dass seine modernisierten Streitkräfte Macht auch in entferntere Regionen projizieren kann. Die Intervention stellte klar, dass eine Lösung der Syrienkrise ohne Russland und gegen die Interessen Russlands nicht zu erzielen ist. Auch dokumentierte Russland mit dem militärischen Engagement in Syrien, dass es eine Großmacht ist, die ihre Interessen in entfernten Regionen durchsetzen will und kann.
Die Ankündigung eines teilweisen Rückzugs jetzt, ist aber der Wiederaufnahme der Genfer Gespräche zwischen Vertretern der syrischen Regierung und der bewaffneten Opposition geschuldet. Russland macht al-Assad deutlich, dass mit Russland eine militärische Lösung nicht drinnen ist. Stattdessen soll al-Assad zu einer politischen Lösung gezwungen werden, die substantielle Zugeständnisse der syrischen Führung, mutmasslicherweise auch den Rücktritt von al-Assad miteinschliesst. Al-Assad hatte sich der Illusion hingegeben, dass mit dem russländischen militärischen Engagement eine ausschliesslich militärische Lösung erzielt werden. Noch vor wenigen Wochen stellte al-Assad klar, ganz Syrien zuzrückzuerobern zu wollen – nur um sich eine scharfe Abmahnung Russlands einzuholen. Noch vor wenigen Tagen schliesslich erklärte Syriens Außenminister Muallim, dass die Frage des Rücktritts von al-Assad für die syrische Verhandlungsdelegation in Genf eine “rote Linie” bedeuten würde und vorgezogene Präsidentenwahlen auszuschliessen seien. Das war klar gegen die Interessen Russlands gerichtet. Nun hat Moskau klargemacht, dass al-Assad nicht auf die bedingungslose Hilfe Russlands rechnen kann und an einer politischen Lösung teilhaben muss.
Der Teilrückzug beinhaltet ein kleines Risiko – Teile der jihadistischen und nicht-jihadistischen Opposition könnte der russische Teilrückzug ermuntern, doch wieder auf eine militärische Lösung zu setzen. Dem hat Russland vorgebeugt: zwar sollen Flugzeuge und Personal aus Syrien abgezogen werden, die militärische Infrastruktur aber bleibt erhalten – die Marinebasis in Tartus und der Luftwaffenstützpunkt südlich von Latakia. Sollten die Kämpfe erneut ausbrechen, könnte Russland seine militärische Präsenz in Syrien wieder aufbauen.
Schließlich dient der Teilrückzug auch dazu, das Verhältnis zwischen Russland und den USA zu verbessern. Damit hat Russland eine leicht überprüfbare Vorleistung zugunsten des diplomatischen Prozesses gemacht. Russland erwartet nun umgekehrt, dass die USA ihre Bündnispartner Türkei und Saudi Arabien auch dazu zwingen, auf ihre Klienten in Syrien einzuwirken, konstruktiv an einer Verhandlungslösung mitzuwirken.
Der Rückzug und die Verhandlungen in Genf machen eine Lösung in Genf möglicher. Es bleiben aber noch zahlreiche Fallstricke erhalten, die zum Scheitern der Gespräche führen könnten. Eine Lösung ist also möglicher, aber nicht wahrscheinlich geworden.
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