Die russische Wirtschaft ist bislang sehr viel resilienter als erwartet. Nach sieben Sanktionspaketen der EU und Sanktionen der USA und anderer westlicher Länder ist ein Zusammenbruch der russischen Wirtschaft ausgeblieben. Die Zentralbank Russlands erwartet für dieses Jahr einen Rückgang des BIP um 4,2 Prozent. Zwar kann man diesen Zahlen nicht trauen, aber auch der Internationale Währungsfonds geht in seiner jüngsten Prognose von einem Einbruch von „nur“ 6 Prozent für 2022 aus. Die Inflation hat nach Kriegsausbruch deutlich angezogen, wird aber für 2022 mit ca. 15 Prozent unter den Befürchtungen bleiben. Auch der Rubel, der zunächst massiv eingebrochen ist, hat sich wieder deutlich erholt. Das aber ist ein künstlicher Kurs, der durch rigorose Kapitalverkehrskontrollen erzielt worden ist.
Viele westliche Unternehmen haben allerdings den russischen Markt aufgegeben. IKEA, H&M und andere beliebte Ketten gibt es nun nicht mehr. Manche westlichen Unternehmen wurden von Russen aufgekauft. McDonalds heißt jetzt „Köstlich und Punkt“ und aus Starbucks wurde „Stars Coffee“. Der Umstand, dass nicht wenige westliche Produkte in den Regalen nun fehlen, betrifft vor allem die städtischen Mittelschichten. Die sozial Schwachen hatten diese Produkte auch vor dem Krieg nicht gekauft.
Die Sanktionen haben bisher vor allem die Auto- und die Luftfahrtindustrie betroffen. Diesen Branchen fehlen wichtige westliche Komponenten, vor allem in der Elektronik. Das geht auf die westlichen Exportverbote für Hochtechnologie zurück. Kaum noch werden Autos produziert. Im Juli 2022 ist die Autoproduktion im Vergleich zum Juli 2021 um 80,6 Prozent eingebrochen. Ersatzteile für Flugzeuge werden aus anderen Flugzeugen ausgeschlachtet. Diese Exportverbote werden mittelfristig auch andere Industriebranchen treffen – auch die russische Rüstungsindustrie. Wenn die angelegten Ersatzteillager geleert sein werden, werden ganze Produktionsketten eingestellt werden müssen. Ersatz für diese westlichen Komponenten aus anderen Ländern gibt es nur bedingt und nicht in gleicher Qualität.
Auch der Staatshaushalt ist mittlerweile in die roten Zahlen gerutscht. Sinkende Einnahmen aus dem Export von Energieträgern, niedrigere Zolleinnahmen durch gesunkene Importe aber auch die von Putin zur Beruhigung der Lage ausgeschütteten Gelder an die Bevölkerung setzen dem Budget zu. Das wird sich weiter verstärken. Zwar verfügt der russische Staat noch über erhebliche Mittel im „Wohlfahrtsfonds“, die an sich aber nicht zur Stabilisierung des Staatshaushaltes vorgesehen sind. Die westlichen Staaten müssen daher noch etwas geduldig bleiben, bis die Wucht der Sanktionen die russische Wirtschaft voll erfassen wird.
Russland ist wirtschaftlich zwar nicht isoliert. Das Handelsvolumen mit vielen nicht-westlichen Staaten hat sich sogar ausgeweitet. Das gilt aber nicht für die sehr relevanten Hochtechnologiebereiche. Trotz der politischen Nähe zwischen Russland und China kann und will (!) China die Konsequenzen der westlichen Sanktionen für die russische Wirtschaft nicht abmildern oder gänzlich aufwiegen. Chinesische Unternehmen fürchten, dafür durch westliche Sekundärsanktionen bestraft zu werden. Für chinesische Unternehmen aber ist der europäische und der US-Markt sehr viel wichtiger als der russische Markt.
Was aber wurde mit den Sanktionen erreicht? Mit den Wirtschafts-, Handels- und Finanzsanktionen wurde Russland bestraft für eine Tat, die zurecht missbilligt wird. Die russische Wirtschaft wird langfristig technologisch deutlich zurückgeworfen. Die Konsequenzen werden alle russischen Bürger spüren. Wenn die Bestrafung das vorrangige Ziel der Sanktionen ist, dann wirken sie schon und immer mehr. Das wichtigste Ziel von Sanktionen aber ist, dass der sanktionierte Staat sein missliebiges Verhalten ändert – konkret also, dass Russland seinen Überfall auf die Ukraine beendet. In dieser Hinsicht waren die Sanktionen aber erfolglos und werden es bleiben. Die EU kann noch ein achtes, neuntes oder zehntes Sanktionspaket verabschieden, aber der Krieg wird damit nicht beendet werden können. Für die russische Führung sind ihre geopolitischen Ziele in der Ukraine wichtiger, als das wirtschaftliche, finanzielle und soziale Wohlergehen Russlands.
Dieser Kommentar ist am 26.8.2022 auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/gastbeitrag-von-gerhard-mangott-die-sanktionen-treffen-russlands-wirtschaft-an-einer-empfindlichen-stelle_id_137224990.html).
Photo credit: https://visegradinsight.eu/eu-sanctions-russia-ukraine/
H&M gibt es im Moment noch 😉