Russland, schuldhaft verstrickt in den grausamen Ukrainekrieg, ist auf der Suche nach Kriegsgerät. Russland gehört zu den größten Waffenexporteuren der Welt. Trotzdem scheint die russische Führung nun auf Rüstungshilfe aus anderen Staaten angewiesen zu sein. Es gibt aber kaum Staaten die, angesichts der westlichen Sanktionen, bereit sind, Waffen an die russische Armee zu liefern. Es verwundert daher nicht, dass Russland nun Waffen aus Ländern gekauft hat, die selbst sehr stark sanktioniert sind: Nordkorea und Iran.
Iran liefert an Russland vor allem Kampfdrohnen. Iran hat in den letzten Jahren ein großes Drohnenarsenal aufgebaut und setzt dieses auch in Syrien und Irak ein. Russland hingegen hat, so überraschend das sein mag, ein für eine Großmacht zu kleines Arsenal an Aufklärungs- und Kampfdrohnen. Nordkorea nun liefert angeblich Raketen und Artilleriegeschoße an Russland. Der sanktionierte Nuklearstaat hat davon einen riesigen Bestand. Die Waffen sind aber keine hochtechnologischen Waffen. Sie sind vielmehr relativ einfach herstellbar. Es ist geradezu absurd, dass die russische Rüstungsindustrie, in die in den letzten dreizehn Jahren viel Geld geflossen ist, offenbar nicht in der Lage ist, dieses Material in ausreichender Zahl selbst zu produzieren.
Sowohl mit dem Iran als auch mit Nordkorea hat Russland enge Beziehungen aufgebaut. Deren militärische Hilfe wird für Putin allerdings nicht umsonst sein. Iran wird sich mehr Einfluss in Syrien ausbedingen. Zwar haben Iran und Russland dort gemeinsam gegen die bewaffnete Opposition gekämpft. Doch beide sind seit Jahren im Wettstreit, wer den größeren Einfluss auf Politik und Wirtschaft des kriegszerstörten Syrien hat. Nordkorea wiederum kann nun sicher sein, dass Russland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen neue Sanktionsbeschlüsse gegen Nordkorea mit einem Veto blockieren wird. Schon lange wird darüber spekuliert, dass Nordkorea wieder eine Nuklearwaffe testen könnte. Sollte das passieren, wird der Sicherheitsrat nicht in der Lage sein, eine neue Sanktionsresolution gegen das hermetisch abgeriegelte Land zu beschliessen.
Was Russland im Krieg gegen die ukrainische Armee fehlt, sind aber nicht nur die technologisch relativ einfachen Waffen. Deutlich geschrumpft ist auf russischer Seite auch der Bestand an Marschflugkörpern, insbesondere bei den von Putin vielgerühmten Hyperschallwaffen. Putin musste wohl an einen kurzen, erfolgreichen Krieg gegen die Ukraine glauben. Ansonsten hätte er angesichts der mittlerweile zu kleinen Arsenale an diesen Waffen einen langen Krieg nicht beginnen dürfen. Aber sollte die russische Rüstungsindustrie nicht in der Lage sein, diese Waffen in gebotener Eile und im notwendigem Umfang bereit zu stellen? Sie kann es nicht. Viele der modernen russischen Waffen nutzen westliche elektronische Komponenten. Die werden aufgrund der Sanktionen seit Monaten nicht mehr nach Russland geliefert. Es fehlen Halbleiter und andere elektronische Komponenten. Russland ist selbst nicht imstande, diese Bauteile zu produzieren. Lieferungen von nicht-westlichen Staaten bleiben aus – weil diese sie auch nicht haben, oder weil sie, wie vor allem China, Sekundärsanktionen des Westens befürchten, sollten sie die westlichen Sanktionen auf Rüstungsgüterlieferungen unterlaufen. Die Wirtschaftsbeziehungen mit Nordamerika und Europa sind China aber wichtiger, als der russische Markt.
Angesichts der sich in den letzten Jahren so deutlich verschlechterten Beziehungen zwischen Russland und dem Westen ist verwunderlich, dass Russland diese Abhängigkeit von westlicher Hochtechnologie nicht verringert hat. Ebenso erstaunlich ist, dass die russische Führung trotz dieser Abhängigkeiten und der zu erwartenden Sanktionen, eine raumgreifende Bodeninvasion in der Ukraine begonnen hat. Die russische Wirtschaft, auch die Rüstungsindustrie, wurden von Putin nicht auf das Szenario eines langen Abnützungs- und Zermürbungskrieg vorbereitet. Für die häufiger werdenden militärischen Misserfolge der russischen Armee ist die Führung direkt verantwortlich. Werden Putin und seine Leute aber dafür jemals zur Rechenschaft gezogen werden? Wohl kaum.
Dieser Text ist am 15.9.2022 als Gastbeitrag auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/analyse-von-gerhard-mangott-warum-putin-verzweifelt-nach-waffen-sucht-und-an-wen-er-sich-jetzt-wendet_id_146655219.html)
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