Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, umso mehr wird danach gefragt, ob die westlichen Sanktionen gegen Russland denn wirklich wirkten. Zweifel kommen auf, ob durch die Sanktionsbeschlüsse Russland wirklich Schaden zugefügt wird. Bisweilen ertönen Stimmen, die Sanktionen schadeten der EU mehr als Russland. Die Antwort auf diese Stimmen ist klar: Die westlichen Sanktionen gegen Russland wirken. Jetzt schon und mit jedem Monat mehr. Die russische Volkswirtschaft wird 2022 um mindestens 6 Prozent einbrechen; manche Schätzungen sehen einen Einbruch von bis zu 10 Prozent. Das wäre die stärkste Rezession in Russland seit den neunziger Jahren. Die Inflation ist stark gestiegen; sie wird heuer vermutlich bei 14 Prozent liegen. Der Außenwert des Rubel wird nur durch strikte Kapitalverkehrskontrollen stabil gehalten. Unzählige westliche Firmen haben den russischen Markt verlassen; die Verfügbarkeit ausländischer Waren in russischen Geschäften ist deutlich zurückgegangen.
Es ist zweifellos richtig, dass sich die russische Volkswirtschaft als resilienter erwiesen hat, als erwartet. Die Exportverbote von Hochtechnologie werden aber mittel- bis langfristig zu schweren Einbrüchen in der Zivil- und Rüstungsindustrie Russlands führen.
Was aber können die Sanktionen bewirken? Sie werden nicht erreichen, dass Russland seinen Krieg in der Ukraine beendet. Die Verhaltensänderung des sanktionierten Staates ist eigentlich ein zentrales Ziel von Sanktionen. Putin wird den Krieg in der Ukraine aber weiterführen, wieviele neue Sanktionspakete die EU auch immer beschliessen wird. Seine geopolitischen Ambitionen in der Ukraine sind ihm wichtiger, als das wirtschaftliche, finanzielle und soziale Wohlergehen seines Landes.
Die Sanktionen aber bestrafen Russland für die Invasion. Die wirtschaftlichen und finanziellen Folgewirkungen werden immer stärker sichtbar werden. Mittel- bis langfristig werden die Sanktionen esĀ für Russland zudem schwieriger machen, eine aggressive, gewaltbereite Außenpolitik zu verfolgen. Der Bestrafungs- und der restringierende Effekt der Sanktionen wird daher zweifellos erreicht. Auch der Signaleffekt gegenüber anderen Staaten, dass ähnliche Handlungen auch durch harte Sanktionen bestraft werden, dürfte auf absehbare Zeit wirken.
Die Sanktionen belasten aber natürlich auch den Sanktionsgeber: Exporteinbußen und hohe Energiepreise sind dafür die sichtbarsten Zeichen. Es stimmt schon, dass Gazprom bereits vergangenes Jahr begonnen hat, die Gaslieferungen an die EU zu verknappen. Geliefert wurden nur vertraglich vereinbarte Mengen. Zusätzliches Gas wurde auf dem Spotmarkt trotz attraktiver Preise nicht angeboten. Speicher der Gazprom wurden nicht befüllt. Drastische Lieferkürzungen und -unterbrechungen waren dann aber die Antwort auf die Sanktionen der EU. Der hohe Gas- und damit Strompreis sind daher zweifellos auch (!) Folgen der Sanktionen. Durch die Lieferkürzungen versucht Russland, Angst und Unsicherheit in den Bevölkerungen der EU-Staaten zu verstärken. Angst davor, die Energierechnungen nicht mehr bezahlen zu können; Angst davor, zuwenig Gas und Strom zur Verfügung zu haben; Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, weil energieintensive Branchen ihre Produktion drosseln oder gar einstellen müssen. Das Kalkül der russischen Führung ist, dass aus der Angst vehementer Straßenprotest werden könnte und der Druck auf europäische Regierungen steigen wird, die Haltung zum Ukrainekrieg und zu den Sanktionen zu verändern.
Die Sanktionen erzeugen also sehr wohl Kosten auf der Seite der sanktionsgebenden Staaten. Das lässt die Stimmen stärker werden, dass die Sanktionen aufgehoben werden sollen. Letztlich ist es eine Entscheidung der Regierungen, wie sie die Güterabwägung vornehmen. Was ist wichtiger: Die Unterstützung der Ukraine bei der Verteidigung ihrer staatlichen Eigenständigkeit oder das Vermeiden eines Wohlstandsverlustes in der EU. Die Regierungen der EU haben diese Güterabwägung vorgenommen. Das Wohl der Ukraine ist als wichtiger eingestuft worden.
Daran wird sich vermutlich auch nichts ändern, wenn es in Europa einen Winter der Unruhen und Proteste geben sollte. Die Regierungen der EU-Staaten versuchen nun, diese Proteste durch die finanzielle Unterstützung der Bevölkerung bei den Energiekosten gleichsam wegzukaufen. Das ist auch völlig richtig, weil viele ihre Energiekosten nicht tragen können. Ein großer Teil dieser Summen wird durch neue Schuldenaufnahmen aufgebracht werden. Das belastet auf lange Sicht die Steuerzahler und ihre Nachkommen. Eine höhere Verschuldung ist also auch eine indirekte Wirkung der Sanktionen auf den Sanktionsgeber. Es ist völlig legitim, das in Kauf zu nehmen. Die Güterabwägung ist die Sache der Regierenden; sie haben dafür auch die Verantwortung zu tragen.
Dieser Text ist als Kommentar der Anderen am 13.9.2022 in der Tageszeitung der Standard erschienen (https://www.derstandard.at/story/2000139028385/die-sanktionen-wirken-aber-in-beide-richtungen)
Photo credit: https://www.produktion.de/schwerpunkte/industrie-politik/diese-sanktionen-gibt-es-gegen-russland-174.html
Die Güterabwägung ist die Sache der Regierenden; sie haben dafür auch die Verantwortung zu tragen. (GM)
Die Güterabwägung ist niemals Sache “des” Regierenden, sondern des Souverän.
Wir leben in einer Demokratie.
Noch.
Das zu Ihrer Info GM. (AM)
MfG
Alexander Huber Montoya
Mag. Ing.
auch in Innsbruck studiert und ab und an mit Prof. Pelinka im Austausch im Cafehaus, wir reden aber nie über sie, eher über Willi, Wille und Macht.