Was prägte Putin in seinem Leben?

Putins Regentschaft war von Anfang an getrieben von der obsessiven Sehnsucht, Russland wieder zu einer international akzeptierten Großmacht zu machen. Putin hat die Schmach des Verlustes sowjetischer Kontrolle über Osteuropa 1989 und den Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 nie vergessen. Diese beiden dramatischen Ereignisse zählen wohl zu den einschneidenden Momenten in Putins Leben, die seine Weltsicht entscheidend geprägt haben. Der wirtschaftliche, soziale und militärische Absturz Russlands in den Jahren danach führten dem Verfechter starker russischer Staatlichkeit vor Augen, wie sehr verrottet die materiellen Grundlagen Russlands waren.

In den Wirren der Jelzin-Jahre liegt auch der Grund für sein zweites politisches Lebensziel: Die Stärkung des russischen Staates, das die Ausschaltung der politischen Rolle der Oligarchen ebenso umfasste wie die Rezentralisierung des Landes. Das Alles wäre für Putin nicht zu erreichen gewesen, hätte er sich nicht mit seinen Kollegen aus den russischen Geheimdiensten verbündet. Diese siloviki (Träger von Macht) bildeten das Zentrum der Führungsriege Russlands seit dem Amtsantritt Putins. Zwar hat Putin auch durchaus liberale Technokraten in Regierungsämter berufen, aber deren politischer Einfluss ist letztlich recht gering.

In Russland wird oft vom „kollektiven Putin“ gesprochen, der das Land regiere. Gemeint ist damit die politische, militärische und wirtschaftliche Führungsriege, der Putin als Schlichter, aber auch als Letztentscheider, vorsteht. In konzentrischen Kreisen bewegen sich diese Eliten näher oder entfernter um Putin herum. Das hat auch dazu geführt, dass Entscheidungen in den politischen Institutionen, etwa im Parlament, nur noch abgesegnet werden, die Beschlüsse aber in informellen Gremien gefasst werden, die Putin mit Unterstützern seiner Wahl beschickt.

Wahlen sind in dieser autoritären Herrschaftsordnung formalisierte und ritualisierte Vorgänge, die natürlich nicht frei und fair sind. Putin misstraut Wahlen. Das hat mit seiner Erfahrung zu tun, als sein Mentor, der Petersburger Oberbürgermeister SobÄak 1996 aus dem Amt gewählt wurde. Dieses Misstrauen gegenüber Wahlen wurde entscheidend verfestigt durch eine zweite prägende politische Erfahrung Putins. Nach den, offensichtlich manipulierten, Wahlen zum Unterhaus des russischen Parlamentes im Dezember 2011, setzte eine überraschend heftige und monatelange Protestbewegung ein. Hundertausende Oppositionelle riefen damals „Putin ist ein Dieb“ und „Für ein Russland ohne Putin“. Nie zuvor und auch niemals danach hat Putin derart offenen Widerstand gegen seine Amtsführung erfahren. So verwundert auch nicht, dass Putin die Opposition mit allen Mitteln zerschlagen hat.

Putin war nie von den liberalen westlichen Werten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte überzeugt. Er erklärte offen, in Russland eine „souveräne Demokratie“ einführen zu wollen, die den historischen und moralischen Traditionen der russischen Zivilisation gerecht werde. Trotzdem hat Putin am Beginn seiner Herrschaft die Zusammenarbeit mit dem Westen gesucht. Putin war klar, dass ohne wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Westen die russische Wirtschaft nicht modernisiert werden könne und sein Antrieb, Russland wieder zu einer Großmacht zu machen, ohne diese Modernisierung nicht möglich sein würde.

Viele Merkmale in Putins Persönlichkeit sind schon lange vorhanden und teilweise sichtbar gewesen. Aber es muss auch daran erinnert werden, dass Putin durch seine Erfahrungen als Präsident auch sozialisiert wurde. Aus seiner Sicht wurde er vom Westen betrogen, gedemütigt und an den Rand gedrängt. Diese subjektiven Wahrnehmungen haben in ihm den Hass und die Wut auf den Westen und sein Misstrauen gegenüber den Westen dramatisch verstärkt. Daher wäre es auch historisch falsch zu sagen, in Putin sei schon im Jahr 2000 alles angelegt gewesen, was wir in den letzten Jahren mit ihm erlebt haben – bis hin zur Invasion der Ukraine in diesem Jahr. Putin hat sich wesentlich verändert. Die Aufgabe der Forschung wird es sein, zu klären, welchen Anteil der Westen daran hatte und hat.

 

Dieser Kommentar ist am 9.10.2022 auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/gastbeitrag-von-gerhard-mangott-der-kollektive-putin-und-warum-er-anfing-den-westen-so-zu-hassen_id_162067371.html)

Photo credit: https://at.galileo.tv/life/wladimir-putin-praesident-vermoegen-praesident-biografie-alter-familie/

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