Der Lack ist ab.

1922, vor hundert Jahren also, wurde die „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ gegründet; 69 Jahre später ist sie zerfallen. Danach arbeiteten die meisten ehemaligen Republiken der Sowjetunion in der losen, wenig effizienten, „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ selektiv zusammen. Relevant wurden aber nur das Verteidigungsbündnis OVKS und die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU), an denen aber nur einige der früheren Sowjetrepubliken teilnehmen. Aber auch diese von Russland geführten Bündnisse stoßen immer wieder und derzeit verstärkt auf integrative Grenzen.

Durch den verheerenden Krieg Russlands in der Ukraine und die schwache Leistung der russischen Armee, zeigen sich in den letzten Monaten Absetzbewegungen von Russland. Der Krieg gegen die Ukraine hat einerseits die Furcht vor einem revisionistischen Russland, das auch andere Staaten angreifen könnte, anfangs erhöht. Andererseits wurde die angebliche militärische Stärke der russischen Armee entzaubert und die Autorität Putins in den Nachbarstaaten Russlands deutlich verringert. Der Krieg hatte also ambivalente Auswirkungen auf die Perzeption Russlands durch seine Nachbarn.

Russland kann seine Rolle als Ordnungsmacht und Stabilitätsgarant in vielen Räumen des ehemaligen Imperiums nicht mehr ausreichend erfüllen. Obwohl Russland ein Bündnis kollektiver Verteidigung anführt, hat Russland den Grenzkrieg zwischen den zentralasiatischen Staaten Kirgistan und Tajikistan nicht verhindern oder zu dessen Lösung beitragen können. Auch im militärischen Konflikt zwischen Armenien und Azerbaijan verliert sich die russische Vermittlungsstärke. Trotz der Stationierung von 2.000 russischen Friedenssoldaten“, konnten in den letzten Monaten azerbaijanische Angriffe auf das Territorium Armeniens nicht verhindert werden. Auch in diesem Konflikt hat die OVKS versagt; Armenien erhielt keine militärische Unterstützung durch das Bündnis, obwohl es russische Hilfe erwartet hatte. Der Unmut der armenischen Regierung darüber zeigte sich dadurch, dass Ministerpräsident Paschinjan die Abschlusserklärung des OVKS-Treffens vor zwei Wochen nicht unterzeichnet hat.

Das Ausbleiben russischer militärischer Stabilisierungshilfen erklärt sich natürlich auch durch den Ukrainekrieg, in dem die russischen Streitkräfte mehrheitlich im Einsatz sind. Wenn Russland aber keine Sicherheitsgarantien glaubhaft zu geben vermag, wenden sich die Staaten im post-sowjetischen Raum verstärkt anderen Akteuren zu. Gerade Kasachstan hat in den vergangenen Monaten seine diplomatischen Kontakte mit China und der EU deutlich intensiviert. Die EU hat ein Interesse daran, den russischen Einfluss in Kasachstan zurückzudrängen und das Land wirtschaftlich weniger abhängig von Russland zu machen. China, das bislang Russland als dominierenden Sicherheitsgaranten im zentralasiatischen Raum akzeptierte und sich auf seine ökonomische Rolle in der Region konzentrierte, weicht diese Selbstbeschränkung nun deutlich auf.

Auch ein, vor allem durch die Sanktionen, wirtschaftlich geschwächtes Russland verliert seine Attraktivität als Handelspartner. Dadurch wird auch der Zusammenhalt in der Eurasischen Wirtschaftsunion schwächer. Dabei hat sich die Umsetzung des Ziels der Errichtung eines gemeinsamen Marktes in der EAEU ohnehin nur schleppend entwickelt.

Die russische Führung reagiert auf diese Entwicklungen mit Unbehagen, muss aber gleichzeitig akzeptieren, seine Strahlkraft als militärischer und wirtschaftlicher Anker in der Region deutlich verloren zu haben. Das reicht bis zu Demütigungen Putins, der bei verschiedenen regionalen Treffen in den vergangenen Monaten minutenlang auf seine Gesprächspartner warten musste. Das war bisher andersrum gewesen: Putin war notorisch zu spät zu Gesprächsterminen gekommen. Allein in diesem protokollarischen Detail erkennt man die Verlagerung der Interessen bisheriger russischer Bündnispartner.

All das reiht sich ein in die strategischen Kosten der Ukraineinvasion. Bleibt auch der russische Sieg in der Ukraine aus, wird man die Invasionsentscheidung Putins tatsächlich als schweren strategischen Fehler einordnen müssen.

 

Dieser Kommentar ist am 6.12.2022 auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/gastbeitrag-von-gerhard-mangott-ein-detail-birgt-fuer-putin-die-ultimative-demuetigung-durch-seine-nachbarn_id_180434050.html)

Photo credit: https://thehill.com/opinion/international/470552-the-analysts-are-wrong-putins-aggression-exposes-russias-decline/

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