Wie weiter im Ukrainekrieg?

An den Frontlinien gibt es derzeit kaum Bewegung. Geländegewinne der Ukrainer sind so selten wie die der Russen. Ein Stellungskrieg zeichnet sich für die nächsten Wochen ab. Die ukrainische Führung erwartet eine russische Offensive – frühestens ab Ende Januar, vielleicht später. Aber hat die russische Armee derzeit die Kraft für eine großräumige militärische Offensive? Wohl kaum. Die russische Armee gräbt sich derzeit ein und bildet Verteidigungslinien, um das bislang eroberte Gebiet zu verteidigen. Territorium soll also gehalten und nicht neue Gebiete erobert werden.

Zu rechnen ist aber mit einer ukrainischen Offensive – sehr wahrscheinlich ein Vorstoß in Richtung der Stadt Melitopol. Militärexperten sind sich aber ziemlich einig, dass es der ukrainischen Armee schwerfallen wird, damit große Geländegewinne zu erzielen. Abhängig ist das sehr stark von den Waffenlieferungen aus dem Westen. Ein Berater des Leiters des Präsidialamtes von Selenskij, Michail Podoljak, hat vor einiger Zeit eine Wunschliste vorgestellt. Dazu gehören deutsche Leopard Kampfpanzer und Marder Schützenpanzer, US-Panzer des Typs M1 Abrams, weitreichende Artillerie, v.a. das Army Tactical Missile System (ATACMS) und schließlich das Luftabwehrsystem Patriot. Letzterer Wunsch ist gestern bei Selenskijs überraschenden Besuch in Washington in Erfüllung gegangen. Eine Patriot Batterie wird an die Ukraine überstellt. Das ist wichtig für die Fähigkeit der Ukraine, russische Angriffe auf die zivile Infrastruktur durch Marschflugkörper, Drohnen, Flugzeuge und ballistische Raketen abzuwehren. Das US-System hat eine viel größere Reichweite als alle bisher an die Ukraine gelieferten Luftabwehrsysteme. Ein Wendepunkt des Krieges wird dadurch aber nicht herbeigeführt.

Die anderen vier Wünsche werden auf absehbare Zeit aber nicht erfüllt werden. Sowohl Deutschland als auch die USA fürchten eine Eskalation des Krieges durch die Lieferung dieser Rüstungsgüter. Auch wenn Kanzler Scholz in seiner Koalition und durch andere NATO-Mitglieder unter Druck steht, ist die Lieferung von Leopard II und Marder derzeit nicht zu erwarten. Ohne diese Waffen wird es für die Ukraine aber kaum möglich sein, ihr Kriegsziel zu erreichen – nämlich alle russischen Truppen aus der gesamten Ukraine zu vertreiben, einschließlich der Krim.

Selenskijs Besuch in den USA war kein „Verzweiflungsakt“, wie eine deutsche Kommentatorin meint. Es war ein Ausdruck der Dankbarkeit für die bisherige Unterstützung und, viel wichtiger, das Bemühen, skeptische republikanische Kongressmitglieder dafür zu gewinnen, die militärische und finanzielle Hilfe an die Ukraine fortzuführen. Schließlich stehen in den nächsten Tagen Beschlüsse in beiden Kammern über Hilfsprogramme für kommendes Jahr an.

Die Aussichten auf eine Verhandlungslösung werden auf absehbare Zeit gering bleiben. Beide Kriegsparteien erklären zwar, zu Verhandlungen bereit zu sein; aber beide stellen dafür Bedingungen, die für die jeweils andere Seite nicht akzeptabel sind. Russland verlangt vor der Aufnahme von Verhandlungen, dass die Ukraine die „Realitäten am Boden“ anerkenne; was nichts anderes heißt als dass die Ukraine den Verlust der von der russischen Armee eroberten Gebiete im Süden und im Osten anerkennt. Das ist für die ukrainische Führung nicht akzeptabel. Auch für die ukrainische Bevölkerung kommen – Umfragen zufolge – territoriale Zugeständnisse an Russland nicht in Frage. Die ukrainische Führung wiederum will erst verhandeln, wenn alle russischen Soldaten ukrainisches Territorium verlassen haben. Die international anerkannten Grenzen der Ukraine sollen wiederhergestellt werden. Das aber wäre für Russland eine katastrophale Kriegsniederlage, die sie nicht zu akzeptieren bereit ist.

Westliche Waffenlieferungen bleiben daher unabdingbar, damit die Ukraine sich verteidigen kann. Eine Alternative dazu gibt es nicht, außer man will den Angriffskrieg Russlands erfolgreich machen. Hinter den Kulissen des Westens gibt es aber unterschiedliche Positionen, welche Kriegsziele die ukrainische Armee denn erreichen soll. Vor allem die osteuropäischen Regierungen unterstützen das Maximalziel der ukrainischen Führung: Die Russen sollen aus der gesamten Ukraine vertrieben werden. Einige der westeuropäischen Regierungen hingegen fordern moderatere Kriegsziele. Sie fürchten, bei der Verfolgung des ukrainischen Maximalzieles könnte eine Eskalation des Konfliktes drohen. Eine horizontale Eskalation, also eine Entwicklung der Lage wodurch andere Länder in den Krieg hineingezogen werden. Oder eine vertikale Eskalation womit der Einsatz taktischer Nuklearwaffen durch Russland als Mittel der letzten Wahl für möglich gehalten wird. Der Einsatz von Nuklearwaffen ist derzeit äußerst unwahrscheinlich. Nur in einem Szenario der katastrophalen Niederlage der russischen Armee und des Verlustes der Krim ist der Einsatz solcher Waffen durchaus möglich. In seiner Rede vor dem erweiterten Kollegium des Verteidigungsministeriums hat Putin auch darüber gesprochen, dass die Interkontinentalrakete RS-28 Sarmat im kommenden Jahr einsatzfähig sein wird. Das war eine erneute implizite Drohung mit einer nuklearen Eskalation. Am Kriegsverlauf in der Ukraine ändert diese ballistische Rakete aber nichts. Gedacht ist sie nur für einen globalen thermonuklearen Krieg zwischen den USA und Russland.

Die offizielle Position des Westens ist, dass die Ukraine selbst ihre Kriegsziele definieren könne und niemand sie zu Zugeständnissen oder zum Einlenken zwingen werde. Kaum denkbar, dass diese Position auch hinter den Kulissen von allen westlichen Staaten mitgetragen wird. Als Waffenlieferanten sehen sich manche westlichen Regierungen berechtigt, die Kriegsziele mit definieren zu können, ja zu müssen. Kaum ein westlicher Staat drängt die Ukraine aber derzeit zu einer Verhandlungslösung des Krieges.

Der Krieg wird uns also weiter begleiten. Kriege können auf zwei Arten enden. Entweder setzt sich eine Kriegspartei militärisch durch und gewinnt den Kampf. Oder aber beide Kriegsparteien sind militärisch erschöpft, sehen keine Aussichten mehr, auf dem Schlachtfeld Erfolge zu erzielen und sind daher zu Verhandlungen bereit. Von beiden Szenarien sind wir in diesem Krieg aber noch weit entfernt.

 

Photo credit: https://harriman.columbia.edu/event/rpp-russia-war-ukraine-new-phase/

2 thoughts on “Wie weiter im Ukrainekrieg?”

  1. Professor Mangott , die Wahrheit erfährt man von wenigen Menschen und Sie sind einer davon ! Die Ukraine kann nicht gewinnen ! Irgend jemand von Ihrer Seite will nicht , das ich Ihnen schreibe !

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