Die Ukraine ist militärisch in Bedrängnis. Die Hoffnungen auf einen militärischen Durchbruch der ukrainischen Armee an der langen Frontlinie haben sich schon vor drei Monaten zerschlagen. Der Krieg ist zu einem Stellungs- und Abnützungskrieg geworden. Die Ukraine verfolgt seitdem die Strategie der „aktiven Verteidigung“. Im Zentrum steht nun die Absicherung der Frontlinie, der Ausbau von Verteidigungsanlagen, um eine Offensive der russischen Armee vereiteln zu können.
Den russischen Soldaten gelingen trotzdem Verstöße und kleinräumige Eroberungen. Diese Vorstöße gibt es in der Region Donezk, wo die russische Armee versucht, die Stadt Avdijivka zu erobern – oder das, was von der kriegszerstörten Stadt noch übriggeblieben ist. Die Russen sind nahe daran, die letzte Verbindungsstraße in die Ruinenstadt zu erobern.
In der Region Charkiv stoßen die russischen Streitkräfte in der Region um die Stadt Kupjansk vor. Die russische Armee hatte diesen Ort schon kurz nach der Invasion erobert, im Herbst 2022 aber wieder an die Ukraine verloren. Schließlich versuchen die Russen, einen kleinen ukrainischen Brückenkopf am ostseitigen Ufer des Dnipro zurückzuerobern. Ein russischer Vormarsch in den genannten Regionen wäre für Putin ein dringend benötigter militärischer Erfolg, wichtig für die Moral der russischen Truppe und umgekehrt ein Dämpfer für die Moral der ukrainischen Soldaten.
In den letzten Wochen hat sich eine leichte militärische Übermacht der russischen Seite aufgebaut. Das hängt vor allem mit zwei Faktoren zusammen. Zum einen fehlt es den ukrainischen Soldaten an Munition, v.a. an Artilleriegeschossen. Russland kann davon deutlich mehr einsetzen; gegenwärtig liegt das Verhältnis bei 5:1 für Russland. Zum anderen haben die ukrainischen Streitkräfte Rekrutierungsprobleme. Viele Soldaten sind gefallen oder nun kriegsversehrt und kampfunfähig. Die meisten Soldaten sind auch schon seit Kriegsbeginn an der Front, ohne dass es eine regelmäßige Rotation gegeben hätte. Anders als zu Beginn des Krieges gibt es auch nur mehr wenige Freiwillige, die sich zum Kriegsdienst bereit erklären. Eine neue Mobilmachung ist erforderlich, aber diese ist politisch umstritten, wäre finanziell sehr teuer und würde der ukrainischen Wirtschaft stark schaden.
Der abgesetzte Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, ein potentieller politischer Konkurrent für Präsident Selenskyj, forderte vor seiner Ablöse die Mobilisierung von bis zu 500.000 Männern und Frauen. Selenskyj aber zögert, dafür die politische Verantwortung zu übernehmen.
Neben Munition braucht die ukrainische Armee aber zusätzliche Luftabwehrsysteme mit Munition, Kampf- und Schützenpanzer, Minenräumgeräte und anderes mehr. Im April wird die Ukraine von Dänemark erste westliche Kampfflugzeuge bekommen – die F-16. Die Zahl wird aber nicht groß sein und auch mit welcher Bewaffnung die Flugzeuge geliefert werden, ist noch unsicher. Eine dramatische Wende im Krieg werden aber auch diese nicht bringen.
Das Ziel des ukrainischen Generalstabs, die gegenwärtige Frontlinie zu halten, um dann vielleicht 2025 wieder eine neue Offensive zu versuchen, ist aber ohne massive westliche Militärhilfe kaum möglich. Die europäische Militärhilfe wird sowohl über bilaterale Lieferungen als auch die Bereitstellung von Rüstungsgütern über die Europäische Friedensfazilität laufen. Das werden in diesem Jahr bestenfalls 25 Mrd. Euro sein. Der politische Wille zu höheren Aufwendungen fehlt allerdings in vielen europäischen Staaten, zumal auch sehr viel Geld in die Ausrüstung der europäischen Armeen investiert werden muss.
Bleibt weitere Militärhilfe der USA aus – vielleicht schon vor den US-Präsidentenwahlen im November, wenn der Kongress weiter blockiert wird, oder aber spätestens, wenn Trump wieder das Präsidentenamt übernehmen werden.
Russland und die Ukraine sind derzeit nicht verhandlungsbereit. Es muss aber realistisch erwartet werden, dass sich die ukrainische Verhandlungsposition in diesem Jahr noch verschlechtern könnte. Daher sollte der Beginn von Verhandlungen über eine Waffenruhe dringlich überlegt werden.
Photo credit: https://www.derstandard.at/story/3000000207611/ukraine-zieht-sich-aus-strategisch-wichtiger-stadt-awdijiwka-zurueck
sehr geehrter herr univ.-prof. dr. mangott,
vielen dank für ihre interessante teilnahme an der diskussion bei frau stöckl im orf. ich habe leider die buchpräsetation bei thalia von ihnen versäumt mir aber kurzfristig ihr buch ebendort gekauft. ich habe erst damit begonnen es zu lesen, aber ich danke ihnen für ihre klare und verständliche sprache, was überhaupt zu diesem konflikti bis zum angriff auf die ukraine geführt hat. es ist immer wieder eine bereicherung, ihnen zuhören zu dürfen! vielleicht ergibt sich noch eine gelegenheit mir das buch von ihnen signieren zu lassen.
Sehr geehrte Frau Bleier,
ich danke Ihnen herzlich. Ich hoffe, Sie haben Freude am Buch. Wenn wir uns einmal begegnen sollten, signiere ich das Buch gerne für Sie. Beste Grüße, Gerhard Mangott
Sehr geehrer Hr Prof. Dr. Mangott
In den Nachrichten erklärt man uns, daß die Ukraine an Munitionmangel leidet, weil die EU nicht / noch nicht genug Munition liefern kann. Gleichzeitig erfährt man, daß die USA bereit sind, große Mengen dieser Munition zu liefern, aber sie müssen auf die Entscheidung im Kongress warten.
Meine Frage ist, weshalb die EU nicht die vorhanden Munition in den USA kauft, wie sie ja schon sehr viel anderes dort gekauft hat. Der Munitionsmangel gefährdet offenbar die Truppe so heißt es in vielen Berichten.
Ein Mangel an Geld kann nicht wirklich der Grund sein. Es handelt sich hier ja nicht um die ganzen 60Mrd. sondern um einen Teil für den momentanen Notstand. Die EU hat Geld, sie könnte sogar auf eingefrorene Gelder Russlands zurückgreifen.
Warum hört oder liest man über diese völlig banale Überlegung überhaupt nichts? Was ist der Grund dafür? Schließlich geht es um die Sicherheit Europas, unser aller Sicherheit.
Mit freundlichen Grüßen,
F.O.Maurer
1010 Wien
Sehr geehrter Herr Mangott,
Ich habe mir Ihr Buch ebenfalls bestellt und bin schon sehr gespannt darauf! Jedenfalls interessiert mich auch die Rolle der USA in Zusammenhang mit einem eventuellen militärischen Rückzug aus Europa und welche Vorteile es bräuchte für die USA sich von Europa zu trennen und den Abstieg und die Erpressbarkeit Europas in Kauf zu nehmen und womöglich so in russisch – chinesische Abhängigkeit zu bringen eventuell sogar eine Annäherung an diese Länder – aufgrund militärischer und wirtschaftlicher Abhängigkeiten – zu riskieren?
Vielen Dank für Ihre stets sehr objektiven und kompetenten Analysen!
Philipp Weiss
Vielen Dank für Ihre sachliche und objektive Analysen!
Mit freundlichen Grüßen
Ph Weiss
Herzlichen Dank!
Sehr geehrter Herr Univ.-Prof. Dr. Mangott,
Eine Frage hätte ich, wenn möglich, an Sie?
Die Rolle der USA, sollte sie sich tatsächlich militärisch zurückziehen aus Europa und sich wirtschaftlich und militärisch auf den pazifischen Raum und Asien konzentrieren?
In diesem Fall wäre Europa militärisch nicht gerüstet, um die USA zu ersetzen. Somit denke ich- aufgrund der militärischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten- erpressbar und womöglich der russisch – chinesischen Einflusssphäre ausgesetzt? Welches Interesse hätte die USA so einen Abstieg und so eine Entwicklung in Kauf zu nehmen? Auch da Europa- glaube ich- immer noch der 2. größte Handelspartner der USA ist und der wichtigste Verbündete zumindest bis Trump? So wäre ein möglicher Krieg in Taiwan für Europa sicher ebenso ein Problem, und müsste sich aufgrund der Abhängigkeit von China (va im Medikamentenbereich, aber auch insgesamt) eher neutral verhalten? Also ein völliges Abgleiten Europas kann nicht wirklich das Interesse der USA sein langfristig?
Über eine kurze Antwort würde ich mich sehr freuen! Auch freue ich mich schon sehr auf Ihr Buch, das ich bestellt habe!
Mit freundlichen Grüßen
Philipp Weiss
Guten Tag Herr Weiss,
Sie haben mit Ihren Argumenten schon recht, d.h. ein Rückzug der USA aus Europa könnte in Bereichen auch die nationalen Interessen der USA beschädigen. Darüber wird zwischen und innerhalb der Demokraten und Republikaner gestritten. Die Allianz mit Europa nur als Kostenfaktor zu sehen, ist sicherlich falsch. Ich hoffe, dass Sie eine Freude am Buch haben.
Beste Grüße,
Gerhard Mangott
Guten Tag Herr Maurer! Das wird in der Tat schon diskutiert. Auch in anderen Ländern wäre Munition käuflich erwerbbar. Es fehlt der politische Wille oder die Bereitschaft, den USA diese Kosten abzunehmen. Beste Grüße, Gerhard Mangott
Vielen Dank für Ihre rasche Antwort. Mir war nicht bewußt, daß die so dringend benötigte Munition an verschiedenen Stellen erhältlich wäre, wenn wir sie nur wollten. Könnte die Ukraine selbst kaufen? Aber es fehlt bei uns in der Politik offenbar die Vision, wie sich Europa in einer lebensgefährlichen Lage verhalten muß. Diese Vision aber scheint mir eine der fundamentalsten Aufgaben der Politik zu sein. Ist das so? Und wird das in der Öffentlichkeit auch so behandelt? LG Maurer
Die Ukraine könnte kaufen, wenn sie dazu das Gweld bekommen würde. Aber da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Vielen Dank für Ihre nüchterne Einschätzung. Angesichts der wachsenden Gefahr, den Frieden lange zu verlieren (so die wachsende Einschätzung in Europa und in den USA, wo der Sprecher Johnson die wahrsch. Mehrheit nicht zu Wort kommen läßt ) was würde es denn bedeuten wenn Europa die Waffen kaufte? Woher könnte das Geld kommen? Es geht um unsere Zukunft und Sicherheit. Wer führt diese Debatte? Europa hat in den letzten Jahren auch viele Kredite aufnehmen müssen. Wenn es um die Wahrung des Friedens geht, was steht jetzt im Weg?