In der Georgienkrise wird von allen beteiligten Akteuren das Völkerrecht bemüht. Die Vorstellung aber, Rechtsnormen wären zwingende Handlungskorridore für Staaten ist höchst anfechtbar. Rechtsnormen sind das Ergebnis machtpolitischer Interessen starker Staaten; schwache Staaten ziehen daraus Schutz, (militärisch) starken Staaten dienen Normen dazu, Legitimität für das eigene Handeln bereitzustellen. Im Kern der äußeren Souveränität von Staaten – der militärischen Sicherheit – aber, ist die Rechtsbeugung durch starke Staaten immer dann gegeben, wenn vitale Interessen durch Rechtsnormen beschädigt werden.
Die Zuflucht zu subtilsten legalistischen Begründungen hat sowohl in der Frage der staatlichen Selbständigkeit des Kosovo als auch Abchasiens den Rechtsbruch zu verschleiern versucht. Die Beugung völkerrechtlicher Normen galt für die militärische Aktion der NATO in Serbien (1999), die militärische Intervention im Irak (2003), die Anerkennung der staatlichen Selbstständigkeit des Kosovo (2008) und nun auch Abchasiens (2008). Natürlich kann die Rechtsbeugung durch unterschiedliche Motivlagen erfolgen, humanitär begründet werden oder macht- und realpolitisch als unvermeidbar angesehen werden.
In der gegenwärtigen Debatte um die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens aber ist die Zuflucht zum Legalismus nicht normen- sondern interessengeleitet. Dabei werden die Völker, um deren Recht auf den eigenen Staat gestritten wird, zumeist ignoriert; die Debatte über diese Völker strotzt zumeist von Unkenntnis über deren Erfahrungen im unabhängigen Georgien. Besonders deutlich wird dies bei Abchasien: Die Abchasen wurden aus ihrem Siedlungsgebiet zuerst durch zaristische Heerscharen vertrieben und nach 1920 durch die von den Georgiern Stalin und Berija betriebene gezielte Ansiedelung von Georgiern, Russen und Armeniern zu einer kleinen Minderheit gemacht. Im August 1992 sind georgische paramilitärische Verbände in Abchasien eingefallen, haben das Nationalarchiv und damit das historische Gedächtnis des abchasischen Volkes niedergebrannt, die Hauptstadt Suchum geplündert und ethnische Säuberungen durchgeführt. Die Abchasier verfügten damals nicht über militärische Verbände und waren schutzlos. Der militärische Befreiungsversuch war 1994 mit Unterstützung nordkaukasischer Söldner und rußländischer Streitkräfte erfolgreich, war aber von grausamen ethnischen Säuberungen und Vertreibungen der georgischen Siedler gekennzeichnet.
Die ökonomische Blockade und ein verweigertes Gewaltverzichtsabkommen durch Georgien haben Abchasien in die Abhängigkeit von Russland getrieben. In Abchasien wurden seit 1994 mehrfach freie Wahlen abgehalten – allerdings ohne Beteiligung der vertriebenen Georgier. Der derzeitige Präsident Bagapš wurde gegen den Widerstand Russlands gewählt. Die leidvollen Erfahrungen der Abchasen lassen ein moralisches Recht auf staatliche Selbständigkeit ableiten. Die Anerkennung durch Russland aber ist Ergebnis machtpolitischer Kalküle, deren Verweigerung durch EU und USA auch. Die legalistischen Verschleierungsversuche geopolitischer Interessen sind daher nicht ernst zu nehmen. Die Abchasen sind dabei Spielmasse im Machtstreit Russlands und des Westens.