Der ukrainische Einmarsch in der Region Kursk ist militärisch ein großes Wagnis. Nur weil die Ukraine in dieser kaum verteidigten Region deutliche Geländegewinne gemacht hat, wird diese Operation nicht strategisch sinnvoll. Das wäre nur der Fall, wenn Russland zur Verteidigung von Kursk Truppen aus der Ostukraine abgezogen hätte. Dort ist die ukrainische Armee seit vielen Monaten in ständigem Rückzug. Russland gewinnt langsam, aber stetig, unter großem Opferaufwand immer mehr Gelände. Russland hat aber Truppen aus anderen, derzeit nicht umkämpften Frontabschnitten abgezogen aus weniger oder kaum umkämpften Frontabschnitten in den ukrainischen Regionen Charkiv, Cherson oder Zaporizhja. Zudem zeigt Russland auch keine große Eile, die ukrainische Armee aus Kursk hinauszuwerfen. Bislang sind es vor allem Luftoperationen die die russische Armee durchführt, um Soldaten und Gerät zu zerstören – nicht nur in Kursk, sondern auch in der benachbarten ukrainischen Region Sumy, die als Bereitstellungs- und Nachschubraum für den ukrainischen Vorstoß gedient hatte/dient.
Der einzige Erfolg dieser Offensive bisher ist, dass sich die Erzählung über den Krieg verändert hat. Die Ukraine demonstriert, dass sie noch offensivfähig ist. Die monatelangen Berichte über das ständige Vorrücken der russischen Streitkräfte im ostukrainischen Donbass hatten auch die westliche Perzeption der Erfolgsaussichten der Ukraine in diesem immer stärker geprägt. Der Vorstoß in Kursk soll nun die Moral der ukrainischen Armee, der Bevölkerung und die Unterstützungsbereitschaft westlicher Staaten wieder erwecken. Ob das die hohen Verluste an Soldaten und Material in Kursk wirklich rechtfertigen kann? Russland hat dafür eine harte Vergeltung angekündigt. Teil dieser Antwort waren sicher auch die massiven Luftangriffe auf die Ukraine in den letzten Tagen. Diese Angriffe Russlands waren vor allem in der Nacht auf letzten Montag sehr massiv. Russland zerstört immer mehr an ukrainischer Energieinfrastruktur, damit der Winter in der Ukraine für die Bevölkerung möglichst kalt und dunkel verlaufen soll.
Das hat die Forderung der ukrainischen Führung, westliche langreichende Waffensysteme auch tief im russischen Kernland einsetzen zu dürfen, noch einmal verstärkt. Ohne diese Erlaubnis lässt sich auf absehbare Zeit keine militärische Wende zugunsten der Ukraine erwarten. Frankreich und das Vereinigte Königreichen wären angeblich bereit, der Ukraine volle Verwendungsfreiheit von Marschflugkörpern wie dem Storm Shadow und dem SCALP einzuräumen. Widerstand dagegen gibt es derzeit noch immer in den USA und in Deutschland.
In der Zwischenzeit rückt die russische Armee in der Region Donezk immer weiter und rascher vor. Ziel ist dabei die Eroberung der logistisch wichtigen Stadt Prokrovsk und die Stadt Torezk und Tschasiv Jar im Osten der Region Donezk. Die Eroberung dieser Städte ist für die russische Armee verlustintensiv – sowohl was Soldatenleben und Material angeht. Trotzdem will der russische Generalstab von der Eroberung der Region Donezk als derzeit wichtigstes Ziel in diesem Krieg nicht abrücken.
Zusätzliche militärische Kräfte werden durch den Aufmarsch der belarussischen Armee an der Nordgrenze der Ukraine gebunden. Angeordnet hat dies sicher Russland. Das könnte die Personalprobleme der ukrainischen Armee noch verstärken. Ein Kriegseintritt der belarussischen Armee in der Nordukraine ist aber nicht wahrscheinlich. Die Armee von Belarus ist im Vergleich weniger schlagkräftig; auch wäre bei einem direkten Kriegseintritt von Belarus heftiger Widerstand in der Armee und der Bevölkerung zu erwarten, die die Machtposition von “Präsident” Lukašenko gefährden könnte.
Es bleibt noch immer abzuwarten, ob die ukrainische Armee die Gebiete in der Region Kursk auch halten kann und wie lange. Wenn durch die Verlagerung von ukrainischen Reserven die Front in der Region Donezk teilweise zusammenbrechen würde, wäre die Kursk-Invasion ein großes Wagnis gewesen, aber ein strategischer Fehler.
Dieser Text ist in gekürzter Version am 28.8.2024 in der Kronen Zeitung erschienen.
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Da wiederholt sich Kursk 43, nur statt Sizilien wird der Donbass das Fanal dieser Offensive sein, da Putin die Nerven behalten hat.
Wie im WK II ab Mitte 43: wenn Militäraktionen für die Wochenschau gemacht werden, damit die Heimatfront bedient wird, dann steht es schlecht, sehr schlecht!