‘Renationalisierung wird wahrscheinlicher’. Interview mit der Tageszeitung ‘Der Standard’, abgedruckt am 2.1.2009
STANDARD: Gegen die Schockwellen von der Wall Street waren nicht einmal die Reichsten der Reichen in Russland gefeit. Warum?
Mangott: Die großen russischen Unternehmen sind hoch verschuldet; die Expansion der letzten Jahre wurde nur über Kredite finanziert. Zwar ist die Staatsverschuldung Russlands in den letzten acht Jahren stark gesunken – von 156 Mrd. Dollar im Jahr 2000 auf nun etwa 33 Mrd. Dollar. Die Unternehmensverschuldung ist aber dramatisch gestiegen. Die Außenverschuldung der russischen Unternehmen beträgt mehr als 520 Mrd. Dollar.
STANDARD: Warum ist das plötzlich ein Problem?
Mangott: Zum einen sind diese Hartwährungskredite wegen des relativen Wertverlustes des Rubel jetzt teurer zu bedienen. Gleichzeitig haben die Sicherstellungen, die von russischen Unternehmen gegenüber ausländischen Gläubigern vorgenommen wurden, aufgrund des Aktienkursverfalls stark an Wert verloren. Das hat wiederum Nachschussverpflichtungen ausgelöst. Selbst für große Unternehmen aus dem Metallurgiebereich, der Petrochemie, der Öl- und Gasindustrie wird es zunehmend schwer, sich zu refinanzieren.
STANDARD: Wer wird als Sieger, wer als Verlierer daraus hervorgehen?
Mangott: Relativ gesichert sehe ich, in abnehmender Reihenfolge, den Eigentümer der Bank Rossiya, Juri Kovalcuk, Roman Abramovich, Oleg Deripaska. Michail Fridman und den Chef der Interros-Holding, Wladimir Potanin. Sie haben enge Beziehungen zu Ministerpräsident Wladimir Putin. Suleiman Kerimow, der seine Anteile an Gasprom und Sberbank inzwischen verkauft hat, steht stärker unter Druck. Für alle aber gilt: Die Abhängigkeit vom Staat wird größer.
STANDARD: Der Kreml entscheidet, wem geholfen wird und wem nicht?
Mangott: Das kann man so sagen. Es gibt keine transparenten Verfahren, welches Unternehmen wie viel an staatlicher Hilfe zur Refinanzierung seiner Außenschulden erhält, die Aktien welcher Unternehmen durch staatliche Aktienkäufe gestützt werden. Sollte die Rubelabwertung anhalten und die Liquiditätskrise am Finanzmarkt anhalten, wird eine teilweise Renationalisierung wahrscheinlicher, auch wenn die Regierung dies jetzt dementiert.
STANDARD: Könnte das schon im Laufe des Jahres 2009 passieren?
Mangott: Nach jetzt vorliegenden Vereinbarungen würden Aktienübertragungen in staatliche Hand 2010 erfolgen. Eine solche Vereinbarung gibt es etwa beim Metallurgiekonzern Norilsk Nickel …
STANDARD: … an dem Deripaska, der wegen der Finanzkrise im Oktober seine Beteiligungen an Magna und am Baukonzern Hochtief abstoßen musste, die Sperrminorität hält.
Mangott: Deripaska hat sich im Frühjahr 2008 einen Machtkampf mit Potanin um die Führung von Norilsk Nickel geliefert. Der Preis für die 25 Prozent plus zwei Aktien, die Deripaska gekauft hat, war damals sehr hoch. Inzwischen ist der Wert des Aktienpakets, das er bei der Kapitalaufnahme im Ausland als Sicherstellung verwendet hat, um 70 Prozent gefallen.
STANDARD: Er musste Geld nachschießen?
Mangott: Genau. Zur Refinanzierung hat er 4,5 Mrd. Dollar von der Entwicklungsbank VEB erhalten. Diese hat Mittel von der Zentralbank und aus dem staatlichen Reservefonds zur Gewährung von Refinanzierungskrediten bekommen.
STANDARD: War das politische Naheverhältnis Deripaskas zu Premier Putin dafür ausschlaggebend?
Mangott: Es hat sicher nicht geschadet. Es gibt aber auch ein starkes volkswirtschaftliches Interesse dabei. Die Regierung will unbedingt vermeiden, dass Deripaskas Anteil an Norilsk Nickel an ausländische Banken fällt. Deshalb die Vereinbarung mit der VEB, wonach das Aktienpaket, das Deripaska an Norilsk Nickel hält, an den Staat fällt, sollte er binnen zwei Jahren die Refinanzierung nicht schaffen.
STANDARD: Ist mit politischen Unruhen in Russland zu rechnen?
Mangott: Zuletzt hat es sehr viel zu verteilen gegeben. Die Realeinkommen sind durchschnittlich um gut zwölf Prozent pro Jahr gestiegen, die individuelle Haushaltssituation hat sich in Russland stark verbessert. Das gilt nicht für den wachsenden Anteil der Pensionisten. Der Zuwachs bei den Renten ist deutlich unter den Lohn- und Gehaltssteigerungen geblieben.
STANDARD: Kann sich das zu einem Problem auswachsen?
Mangott: Die Unzufriedenheit nimmt zu. Nur – Pensionisten sind in Russland nicht organisiert. Durch die Währungsabwertung und Massenentlassungen wird die soziale Unruhe aber auch auf den Mittelstand übergreifen. Allerdings sind derzeit keine politischen Kräfte auszumachen, die daran interessiert sind, die soziale Unzufriedenheit politisch auszunützen. Der größte russische Gewerkschaftsverband beispielsweise hat die finanziellen Interessen der eigenen Organisation im Auge, nicht die der Mitglieder. Er hat ein beträchtliches Immobilienvermögen. Sollten die Gewerkschaftsfunktionäre sozialen Widerstand organisieren, würde der Staat die Gewerkschaft wohl enteignen. (Günther Strobl, DER STANDARD, Printausgabe, 2.1.2009)
Foto: http://bp1.blogger.com/_-VAK4mPxH_k/SHqr67FKmtI/AAAAAAAAAOk/h6JscU06o2E/s1600-h/stock_market_crash.jpg
Ich habe schon vergangenen September darauf hingewiesen, dass sich der neu entstandene “Mittelstand” in Russland dann mit Erfolg politisieren wird, wenn seine hemmungslosen Bestrebungen, Reichtümer zu aquirieren, zu ihrem Ende kommen und der wirtschaftliche Abstieg droht bzw. bevorsteht – und ich scheine damit Recht zu behalten …
all the data we have indicate that dissatisfaction of Russia’s middle class with the current government is quickly on the rise. it is a different issue, though, whether this dissatisfaction will get mobilised politically in the near future.
The feeling that the country “goes in the wrong direction”, indeed, grows. However, when asked to evaluate the actions of the President and Prime-Minister – those both get still very high scores along the scale of approval/disapproval. Thus, this sense is still a feeling, let alone it is not even personalized with anyone. As for the political mobilization – where are the leaders and the movements that would mobilze?
Russians are very much disorganized when it gets to making sense out of loads (now) of information regarding the financial crisis. However, it is still (!) not sensed in most of Russian province (except for the so-called “mono-cities”, of course).
It is mostly Moscow, St-Pete and other metropolitan areas (plus the mono-regions) that exhibit quickly gwoing anxiety among the population…
Bearing this in mind, one shouldn’t forget about the “effect of the capital” when it gets to the protests, however… you should see such protests at the moment. 20 old ladies here, 15 old men there… Well, at the moment…