Im Handelsstreit zwischen Russland und der Ukraine wolle die EU keine Vermittlerrolle übernehmen, weil der Streit undurchsichtig sei – diese geradezu lächerliche Haltung war in den Korridoren der EU Kommission zu hören. Auch in Prag war man an einer aktiven Rolle der EU in der Lösung des Gasstreites nicht interessiert; möglich, dass Tschechien mit der Ratspräsidentschaft überfordert ist; vielleicht aber hat sich die tschechische Regierung auch mit Kiiv abgestimmt. Die Ukraine kann es sich im Gasstreit leisten zuzuwarten – die Gasreserven reichen für viele Wochen aus. Das ukrainische Kalkül war zweifellos, die Abhängigkeit des russländischen Gasexportes vom ukrainischen Leitungsnetz auszunützen und Gazprom in Zugzwang zu bringen: entweder Gazprom gibt im Streit um Schuldentilgung und Gaspreis nach oder Russland muss die Krise eskalieren, indem die Gasversorgung von EU-Abnehmern unterbrochen wird. Das aber würde das Ansehen Russlands als verlässlicher Erdgasversorger nachhaltig beschädigen und die ukrainische Position stärken, sollte die EU daraufhin zu vermitteln suchen.
Die Eskalation durch Russland zielte darauf, die EU zu einer aktiven Rolle zu zwingen, um eine Einigung mit der Ukraine zu erzielen; hätte sich die EU früher darum bemüht, im Handelsstreit zu vermitteln, wäre die Unterbrechung der Gasversorgung vermeidbar gewesen. Der Handelsstreit wird beigelegt werden, weil er auf finanziellen Differenzen beruht, die durch Intervention der EU beigelegt werden können.
Wenn sich dieses Szenario aber nicht wiederholen soll, ist eine Einigung über den Verkaufspreis russländischen Gases an die Ukraine nicht genug. Die EU muss auf einen mehrjährigen Liefervertrag zwischen Gazprom und Naftogaz Ukrainy drängen, der eine transparente Preisformel enthält. In diesen Vertrag müsste auch die Regelung der Transittarife aufgenommen werden (auch wenn es dazu bereits einen gültigen Vertrag bis 2010 gibt). Gleichzeitig müssen ukrainische Zahlungen für das erhaltene Gas gesichert sein; angesichts der dramatischen finanziellen und wirtschaftlichen Krise in der Ukraine wird dies ohne Finanzhilfe durch die EU nicht möglich sein. Diese Hilfe aber sollte die EU an die Einrichtung eines internationalen Konsortiums knüpfen, das die operative Kontrolle über das ukrainische Gasleitungsnetz übernimmt – und damit auch überwachen könnte, wie viel Erdgas Gazprom tatsächlich in das ukrainische Leitungsnetz einspeist. Die Ukraine würde natürlich das Eigentum am Leitungsnetz behalten. Die Gasleitungen müssen dringend gewartet und modernisiert werden; diese Aufgabe könnte durch internationales Konsortium besser abgewickelt werden.
Die Lösung der akuten Krise reicht aber nicht, um die Gasversorgung der EU sicherer zu machen; angesichts des steigenden Importbedarfs der EU im Gassektor sind strategische Entscheidungen erforderlich. Die dominante Stellung Russlands als Gasversorger ist dabei zweifellos wichtig, auch wenn unklar ist, wie viel Gas Russland in den nächsten Jahren exportieren kann: die Förderung in den traditionellen nordwestsibirischen Gasfelder geht deutlich zurück, die Erschließung neuer Gasfelder auf der Halbinsel Yamal und in der Barentssee ist kosten- und technologieintensiv, der Inlandsverbrauch steigt.
Zentral für die sichere Gasversorgung der EU ist die stärkere Diversifizierung der Gaslieferländer und den Bau von Gasleitungen, die Russland umgehen. Der weitere Ausbau des mediterranen Leitungsnetzes mit Algerien und Libyen, die Nutzung von Flüssiggas aus Qatar und Westafrika sind unerlässlich. Das Nabucco-Projekt schließlich ermöglichte nicht nur den Zugriff auf neue Lieferländer – die kaspischen Staaten; auch würde damit ein Leitungsstrang eingerichtet, der nicht von Russland kontrolliert wird. Nabucco aber ist derzeit noch immer unwägbar, wenn nicht auch iranisches Gas genützt werden kann; darauf zu verzichten, ist fahrlässig.
Zusätzlich zur Diversifizierung von Lieferländern und neuen Versorgungsleitungen gilt es aber auch, den russländischen Gasexport in die EU auf verschiedene Gasleitungen zu streuen. Es ist für die EU ein Sicherheitsrisiko, dass 78 Prozent der Versorgung mit russländischem Erdgas über ein einziges Transitland – die Ukraine – erfolgt. Daher ist es fahrlässig, dass die Vorhaben zum Bau der Nord Stream Gaspipeline von Russland über die Ostsee in das deutsche Greifswald und weiter in die Niederlande von einzelnen Mitgliedsstaaten der EU weiterhin blockiert wird. Die EU braucht Führungsstärke, in Prag wird diese nicht zu finden sein.
Dieser Kommentar ist am 8. Jänner 2009 in der Tageszeitung ‘Der Standard‘ erschienen.
Foto: http://www.alaska-in-pictures.com/data/media/17/winter-alyeska-pipeline_3235.jpg
An interesting article published in the WSJ:
http://online.wsj.com/article/SB123197952101583573.html