Vorbehalte gegen das iranische Regime und sein Vorhaben, eine nukleare Waffenoption zu entwickeln, sind zwar nachvollziehbar; deswegen aber die Zusammenarbeit im Energiesektor zu blockieren, ist aus strategischen Überlegungen nicht zweckmäßig.
Zur Wahrung der Energieversorgung der EU-27 ist die Zusammenarbeit mit vielen autoritären Regimen erforderlich – von Saudi Arabien und anderen Golfstaaten über Algerien, Libyen und Russland bis Nigeria. Iran ist damit kein Einzelfall. Immerhin importieren die Mitgliedsstaaten der EU auch erhebliche Mengen an Rohöl aus dem Iran, allen voran Frankreich, Italien und Griechenland. Die OMV ist nicht der einzige Energiekonzern, der an iranischem Gas – immerhin 16 Prozent der globalen gesicherten Reserven – interessiert ist. Indien und China, und mittelfristig auch Japan, streben erhebliche Gasimporte aus Iran an. Die Errichtung eines Leitungsnetzes von Iran über Pakistan nach Indien – die so genannte ‚Friedenspipeline IPI‘ – könnte auch nach China verlängert werden. Auch ist ein Ausbau der LNG-Kapazitäten Irans zu erwarten, wodurch zusätzliche Exportmärkte erschlossen werden können. Zudem schickt sich die russsche Gazprom an, in den iranischen Markt massiv einzusteigen. Das iranische Regime wird also ohnehin aus dem Gasexport zusätzliche Exporteinnahmen gewinnen können.
Neben der USA ist es auch Russland, das kein Interesse am Erdgasexport Irans in die EU hat. Gazprom möchte den europäischen Markt exklusiv bedienen und wird alles daran setzen, Irans Gasexporte in die EU zu blockieren und nach Osten zu leiten. Der Verzicht der EU auf iranisches Gas wäre daher ein törichter Beitrag zur Errichtung eines Gaskartells, das erheblichen Preisdruck auf den europäischen Gasmarkt bewirken könnte.
Der Handel mit iranischem Gas kann die Stabilität des iranischen Regimes befördern; immerhin bezieht Iran 85 Prozent seiner Exporteinnahmen aus dem Öl- und Gassektor. Das trifft aber nicht nur auf den Iran zu, sondern auf eine Mehrheit der autoritären Staaten, mit denen die EU-27 im Energiesektor zusammenarbeiten. Den ethischen Gehalt dieser Verflechtungen zu diskutieren ist so legitim, wie die Betonung wechselseitiger Interessen. Das eine ist über das andere nicht erhaben.Ist das iranische Regime aber ein Sonderfall, der andere Regeln erforderte? Die Kritiker werfen der OMV vor, das multi- (VN) und bilaterale (USA) Sanktionsregime gegen Iran zu unterlaufen. Gerade philoisraelische Organisationen sehen in Sanktionen taugliche Mittel, um das Innen- und Außenverhalten des Iran zu beeinflussen. Wenn aber das iranische Regime rational genug ist, auf äußere Sanktionen zu reagieren, muss dem iranischen Regime auch zugebilligt werden, sein Verhalten in der nahöstlichen Region rational zu steuern.
Ist dann der Vorwurf, der Iran sei ein irrationales Regime, das selbst die Zerstörung des eigenen Landes in Kauf nehme, um Israel zu vernichten, gerechtfertigt? Als Ausdruck des irrationalen Herrschaftscharakters werden die Brandreden Ahmadi-nejads gegen das ‚zionistische Regime‘ angeführt; ist das wirre Gefasel des in der Machthierarchie Irans ohnehin marginalisierten Staatspräsidenten aber tatsächlich die Leitlinie der iranischen Außenpolitik; sind die Hetzreden nicht vielmehr an die eigene Bevölkerung gerichtet, um diese angesichts wirtschaftlicher und sozialer Härten nationalistisch zu mobilisieren?
Selbst wenn Iran die nukleare Option erwerben oder sogar in der Lage wäre, Trägersysteme nuklear zu bestücken, wäre deren Einsatz irrational, gerade gegen Israel. Irrational, weil die Zweitschlagsfähigkeit Israels nicht ausschaltbar ist und einen rational agierenden Iran ausreichend abschreckt. Auch die vielfach zitierte Erpressbarkeit Israels durch einen angedrohten nuklearen Schlag des Iran ist nicht gegeben, da auch in diesem Szenario die Abschreckungslogik greift.
Unbestritten ist die Rolle Irans als destabilisierende Kraft in der Region – durch die militärische Unterstützung für einige schiitische Milizen im Irak, die indirekte Schwächung der libanesischen Regierung über die Mobilisierung der schiitischen Hizbollah, die islamistische Penetration des palästinensischen militanten Lagers um die sunnitische Hamas und nicht zuletzt durch die strategische Allianz mit Syrien. Unbestritten ist auch, dass dadurch israelische Sicherheitsinteressen beeinträchtig werden. Israel kann sich aber seiner eigenen Verantwortung für die regionale Stabilisierung nicht entziehen; der Ruf nach militärischer Härte durch die USA gegen eine nicht bestehende Gefährdung Israels durch Iran darf nicht erhoben werden, nur weil die israelische Führung nicht fähig oder bereit ist, ihren Beitrag zu einer friedlichen Lösung der offenen Fragen in seiner Nachbarschaft zu leisten.
Foto: http://www.welt.de/multimedia/archive/00572/Gas_DW_Finanzen_Wue_572298g.jpg
Eine leicht abgeänderte Version dieses Kommentars wurde am 16.2.2009 in der Tageszeitung ‘Die Presse’ unter dem Titel ‘Der rationale Iran‘ abgedruckt.
Die massiven politischen Widerstände gegen Erdgasimporte aus dem Iran wirken sonderbar, denn historisch betrachtet, standen (zumindest bei entsprechendem Energiebedarf) grundlegende politische oder ideologische Differenzen, wechselseitig vorteilhaften Handelsbeziehungen im Bereich fossiler Energieträger nie im Weg.
Nach der Oktoberrevolution 1917, nahm Westeuropa in den 1920er Jahren seine Erdölimporte aus dem nunmehr kommunistischen Russland wieder auf. Auch die zunehmende Polarisierung zwischen dem demokratischen Westen und dem totalitären Sowjetregime, hinderte europäische Unternehmen nicht daran, Geschäfte mit Moskau – damals Inbegriff des Bösen – abzuschließen. Die italienische ENI importierte ab 1959 Erdöl und die OMV ab 1968 Erdgas aus der Sowjetunion. Zu Beginn der 1980er Jahre, als Reagan die UdSSR als „evil empire“ bezeichnete, schlossen mehrere europäische Staaten – darunter Österreich, Deutschland und Frankreich – umfangreiche Erdgaslieferverträge mit Moskau ab.
Auch der zur Zeit Nassers zunehmende Nationalismus und Antijudaismus in der arabischen Welt, bewog die US-amerikanischen Erdölriesen genauso wie die US-Regierung in keiner Weise, die prächtigen Geschäfte zu überdenken. Die Vereinigten Staaten tun sich leicht, eine Energiezusammenarbeit mit dem Iran abzulehnen, da sie – genauso wie im Falle Libyens, das in den 1980er Jahren mit einem Embargo belegt wurde – auf dessen Ressourcen nicht angewiesen sind.
Seit jeher werden fossile Energieträger von dort importiert, wo sie reichlich vorhanden und kostengünstig förderbar sind. Für den Iran trifft das zweifellos zu; nicht umsonst gilt das Land als drittgrößter Erdölexporteur, von dem nicht nur die genannten europäischen Demokratien fleißig Erdöl beziehen, sondern auch – als größter Einzelimporteur – Japan sowie Südkorea.
Trotz seiner immensen Reserven, ist der Iran ein Nettoimporteur von Erdgas! Mit einem Exportvolumen von lediglich 6,02 bcm/y (2007 lt. OPEC) liegt das Land nur an 22. Stelle der Erdgasexporteure. Irans Exporte in den letzten Jahren entsprechen jenen Belgiens! Das Exportpotenzial Teherans ist demnach enorm.
Die Aufnahme umfangreicher Erdgasimporte ist für Europa aus ökonomischer Sicht höchst ratsam. Weshalb soll Europa somit aufgrund politisch-ideologischer Befindlichkeiten bzw. ethischer Bedenken, denen in der (schmutzigen) Welt des Erdöls und Erdgases noch nie große Bedeutung beigemessen wurde, auf eine wirtschaftlich und strategisch höchst gewinnbringende Kooperation verzichten?